Riskante ZDF-Doku: Wie schlimm ist es in Afghanistan wirklich?

09.08.2023 um 10:45 Uhr
    Inside Afghanistan Doku Titelbild | © ZDF/Katrin Eigendorf Katrin Eigendorf vor der Provinzschule | ©ZDF/Katrin Eigendorf

    Leben in Angst und Ohnmacht: Wie es ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf gelang, im weitgehend isolierten Land unter dem Taliban-Regime eine Doku zu drehen.

    Ein Artikel von Mirja Halbig.

    Die Bilder gingen um die Welt – und unter die Haut: Als die Taliban vor zwei Jahren, am 15. August 2021, wieder die Macht in Afghanistan übernahmen, spielten sich am Flughafen Kabul dramatische Szenen ab. Um noch irgendwie das Land zu verlassen, versuchten Tausende, das Gelände zu stürmen, Flugzeuge zu entern oder klammerten sich in ihrer Verzweiflung von außen an startende Maschinen. Sie ahnten, wie sehr sich ihre Heimat verändern würde, wie gnadenlos die Taliban Rechte von Frauen und Minderheiten mit Füßen treten würden. Wie erleben die Menschen heute ihren Alltag in Afghanistan?

    ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf reiste drei Wochen durchs Land, um Interviews zu führen. In ihrer beeindruckenden Doku „Inside Afghanistan“ gewährt sie den Zuschauern seltene Einblicke. Die vielfach ausgezeichnete Auslandsreporterin beschreibt, wie es ihr gelang, aus einem unterdrückten Land frei zu berichten, und welche Begegnungen sie am meisten beeindruckt haben. Ihr Mut macht es möglich, dass Millionen Menschen erfahren, wie die Taliban herrschen. „Es ist nicht selbstverständlich, dass ich eine Arbeitsgenehmigung erhalten habe. Viele Kollegen dürfen nicht mehr einreisen“, sagt Eigendorf.

    Die erfahrene Korrespondentin berichtete vor 19 Jahren erstmals aus dem Land am Hindukusch – drei Jahre nach dem Sturz der Taliban. Nachdem sich die internationalen Truppen 2021 zurückgezogen haben, sind die radikalen Herrscher wieder an der Macht. Ihr Ziel ist es, aus ihrer Heimat einen islamischen Gottesstaat zu machen.

    Zwei Jahre nach der Machtübernahme

    Der religiöse Wahn prägt den Alltag der Menschen. Frauen und Minderheiten haben keinerlei Rechte. Frauen werden quasi aus dem öffentlichen Leben verbannt, können nicht ohne männliche Begleitung reisen. Mädchen dürfen nur bis zur sechsten Klasse die Schule besuchen. „2022 war ich auch vor Ort. Seitdem ist alles noch extremer geworden“, sagt Katrin Eigendorf.

    Die Polizeiakademie Kabul - jetzt unter Kontrolle der Taliban.

    „Besonders bewegt hat mich ein Gespräch mit einer jungen Frau. Sie war Journalistin und musste alles aufgeben. Sie hat keine Perspektive. Sie sagt, ihr Leben sei wie ein Gefängnis. Es könnte ihr als Frau jemand auf der Straße etwas antun – und es würde nicht mal geahndet werden. Aussicht auf Besserung gibt es nicht – eher verschlechtert sich die Situation noch weiter. Das finde ich bedrückend.“

    Drei Wochen lang war Katrin Eigendorf im Mai mit ihrem Team in Afghanistan per Jeep unterwegs: in Kabul, Herat, Paghman und verschiedenen Provinzen. „Wir konnten frei arbeiten, nachdem wir uns im Presseministerium in Kabul angemeldet hatten“, berichtet Eigendorf. „Als Frau halte ich mich an die Regeln für Bekleidung: Ich bin nur verschleiert auf die Straße gegangen, in einem langen Mantel und weiter Hose. Kleidung, die keine Körperformen erkennen lässt. Ansonsten muss man damit rechnen, dass man angefeindet wird. Ich bin ja nicht als Aktivistin unterwegs, sondern um zu arbeiten.“ Eine schusssichere Weste hatte die ZDF-Korrespondentin immer im Gepäck – da es keine Kampfhandlungen mehr gibt, brauchte sie diese aber kaum.

    Die größte Gefahr sind Sprengstoffattentate oder Entführungen. „Wir waren immer wachsam“, sagt Eigendorf. „Es gab auch immer wieder Momente, da sagte mein afghanischer Kollege: ‚Du gehst als Frau jetzt besser ins Auto!‘ Etwa wenn aufgebrachte radikale Männer sich provoziert fühlten und wütend wurden, weil wir als Westliche in der Öffentlichkeit Filmaufnahmen gemacht haben.“

    20 Millionen Menschen hungern

    Die Stimmung im Land ist schlecht. Nach vielen Jahrzehnten Krieg lag Afghanistan wirtschaftlich bereits vor der Machtübernahme der Taliban am Boden, aber die Lage hat sich seitdem weiter verschärft: Etwa die Hälfte der 40 Millionen Einwohner leidet an Hunger. „Die Verelendung ist weit fortgeschritten. Hilfsorganisationen kommen kaum noch ins Land“, sagt Eigendorf. „Mein Gefühl ist, dass unglaublich viele Menschen das Land verlassen wollen. Aber wohin können sie? Sogar die Taliban sprechen mich immer wieder darauf an, weil die Lebensbedingungen eine Katastrophe sind.“ Welche Perspektive gibt es? „Wir haben auf der Welt zurzeit so viele Krisen, dass sich internationale Geldgeber sehr wohl überlegen, wo sie ihr Geld investieren“, weiß Katrin Eigendorf. Die Zukunft für Afghanistan sieht düster aus. Aber die Reporterin vergisst die Menschen im Land nicht. Sie ist schon dabei, ihre nächste Reise nach Kabul zu planen.

    Am 9. August um 22.20 Uhr läuft „Inside Afghanistan“ im ZDF.

    Geheime Russland-Doku: Achtjährige werden dazu erzogen, in den Krieg zu ziehen

    Es war eine riskante Reise: Die beiden Journalistinnen Ksenia Bolchakova und Veronika Dorman waren drei Wochen in Russland unterwegs und fingen fürs ZDF-Magazin „frontal“ die Stimmung im Land ein. Was passiert in diesem Staat, aus dem seit über einem Jahr nur gefilterte Nachrichten nach außen dringen? Sie haben erschreckende Antworten auf diese Frage gefunden… Ein Artikel von Redakteurin Mirja Halbig. Bolchakova und Dorman führten heimlich zahlreiche Interviews – was seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine für Reporter aus dem Westen eigentlich unmöglich ist. Gelungen ist dies nur, weil beide Frauen einen russischen Pass besitzen und unbemerkt einreisen konnten. Mit der Dokumentation „Geheim in Russland: Reise durch ein unterdrücktes Land“ ist ein wertvolles Zeitdokument entstanden. Bolchakova und Dorman haben uns berichtet, unter welcher Spannung sie arbeiteten und warum sie glauben, dass ihre Ausreise aus Russland ein Abschied für immer war. 21 Tage lang ging es für die beiden nur um eines: sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. So stiegen sie für die Einreise nicht in ein Flugzeug, sondern fuhren ab Helsinki mit dem Bus nach Sankt Petersburg und waren auch in Russland Tausende Kilometer nur mit Bus und Bahn unterwegs. Hotels mieden sie. „Wichtig war, dass wir nirgendwo registriert wurden. Deshalb haben wir auch nicht mit der Kreditkarte gezahlt“, sagt Dorman. „Uns war jederzeit bewusst, wie gefährlich dieser Trip ist. Vor dem Ukrainekrieg war es bereits sehr schwer, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten – für unsere Mission war es unmöglich.“ Kinder sind bereit, für ihr Land zu sterben Die Journalistinnen haben einen engen Bezug zum größten Land der Erde: Ihre Eltern stammen aus Russland, so kennen sie viele Einheimische. Bolchakova, heute 40, wurde in Moskau geboren, Dorman, 41, in New York. Beide wuchsen in Paris auf, wo sie heute auch leben. Monatelang bereiteten sie das Projekt vor, bis es im November endlich losging. „Unser erster Eindruck in Moskau war, dass sich nicht viel geändert hat: Man spürte nicht wirklich, dass Russland im Krieg ist. Wir hatten das Gefühl, dass die Menschen gar nicht wissen, was Schreckliches in ihrem Nachbarland passiert. Das war verstörend“, sagt Dorman. „Aber je länger wir unterwegs waren, umso mehr erlebten wir Anspannung und auch Angst in der Bevölkerung.“

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