Die „Tagesschau“ wird am 26. Dezember still und heimlich ihren 70. Geburtstag feiern. In der Sendung am zweiten Weihnachtstag wird das eigene Jubiläum keine Meldung wert sein.
Das Jubiläum wird weder erwähnt noch gefeiert, erklärt "Tagesschau"-Chef Marcus Bornheim, gegenüber der HÖRZU. Der Grund: Zwar verkünde die "Tagesschau" Nachrichten, sei aber selbst keine. Der 48-jährige Journalist, der seit Oktober 2019 Erster Chefredakteur von ARD-aktuell ist, blickt lieber nach vorne und gibt im Interview Einblicke in bereits umgesetzte sowie weitere, notwendige Veränderungen bei den Nachrichten im Ersten. Beim Gendern soll es keine Veränderung geben: Bei Informationssendungen der ARD wird auch in Zukunft nicht gegendert, jedenfalls nicht im Fernsehen.
Nach welchen Kriterien strukturieren Sie die 20 Uhr-„tagesschau“?
Marcus Bornheim: Wir haben klare Relevanzkriterien: Was ist neu? Was ist nützlich? Und wie nahe ist ein Thema – Stichwort: „Nähe-Prinzip“ - räumlich oder emotional an unseren Zuschauern? Außerdem ist es wichtig, dass ein Thema einen allgemeinen Gesprächswert hat.
Was kommt als Aufmacher in Frage?
Themen, bei denen es eine neue Wendung in einer politischen Diskussion gibt – oder eine neue weltweite Entwicklung. Und klar, wenn sich etwas völlig Neues ereignet, über das in Deutschland diskutiert wird, dann muss das auch bei uns vorne in der Sendung stattfinden. Themen, die Aspekte fortschreiben, fallen hingegen eher in den hinteren Teil der Sendung.
Planen Sie nach dem Jubiläum „70 Jahre ‚tagesschau‘“ am 2. Weihnachtstag sukzessive inhaltliche und/oder optische Veränderungen?
Nicht von heute auf morgen, aber wir verändern die „tagesschau“ schon seit längerer Zeit in homöopathischen Dosen. Dabei handelt es sich um minimale Kleinigkeiten, die eigentlich nur Hardcore-Fans bemerken.
Bitte ein paar Beispiele …
In letzter Zeit haben wir viel an der Sprache geändert - nun ist sie „sprechsprachlicher“ geworden. Konkret heißt das: Wir haben kürzere Sätze sowie weniger Substantive pro Meldung. Zweitens stellen unsere Sprecher seit einiger Zeit mitunter eine Nachfrage an die Korrespondenten. Drittens gibt’s neue Kameraeinstellungen: Manchmal sieht man um 20 Uhr die Sprecher komplett auf dem Bildschirm – etwa, wenn sie bei der sogenannten Position „C-seitlich“ - vor sich selbsterklärenden Hintergrundillustrationen stehen. Viele dieser minimalen Veränderungen haben wir vorsichtig dosiert, und es gibt sie auch nicht in jeder Ausgabe.
Und inhaltlich?
Inhaltlich haben wir eine andere Themenauswahl. Nicht in jeder Sendung, aber ziemlich häufig, bringen wir beispielsweise in der 20-Uhr-Ausgabe mittlerweile ein Wissenschaftsstück oder ein Kulturthema – oder einen lösungsorientierten Ansatz zu einem zuvor dargestellten Problem. Denn neben Krisen, Krieg, Leid und Elend gibt es auch andere Aspekte im Leben, die für die Zuschauer wichtig sind. Außerdem möchten wir den Fernsehzuschauern, die laut Umfragen nachrichtenverdrossener geworden sind, mehr andere Perspektiven aufzeigen.
Was sind die Vor- und Nachteile des „tagesschau“-Studios?
Ein Vorteil ist, dass das Studio komplett automatisiert ist. Jede Kameraposition ist fest einprogrammiert, als Sprecher entwickelt man ein positiv-haptisches Gefühl für das Studio und unsere Beamer-Wand ist ganz toll. Ein Nachteil ist, dass das Studio langsam in die Jahre kommt und wir uns demnächst von unserer Beamer-Technologie verabschieden müssen, um zu LED überzugehen. Aktuell beginnen wir mit Überlegungen für die Planung eines neuen Studios und wie wir den Umbau umsetzen können, ohne den Sendebetrieb gleichzeitig für ein halbes Jahr einstellen zu müssen.