HÖRZU im Gespräch mit Stefan Aust: Der frühere „Spiegel“-Chefredakteur schrieb das Drehbuch zum ARD-Film „Stammheim: Zeit des Terrors“.
Seit seinem Buch „Der BaaderMeinhof-Komplex“ aus dem Jahr 1985 gilt der Journalist Stefan Aust als Topexperte zum Thema Rote Armee Fraktion (RAF). Auch filmisch beschäftigte er sich mit der Terrorgruppe. So schrieb er etwa das Drehbuch für den Spielfilm „Stammheim“, der 1986 bei der Berlinale den Goldenen Bären erhielt. Beim ARD-Dokudrama „Stammheim: Zeit des Terrors“ (Mo, 19. Mai, 20.15 Uhr im Ersten) war er jetzt ebenfalls als Drehbuchautor beteiligt. HÖRZU sprach mit ihm über den Alltag der Gefangenen, Aggressionen und Folter.
HÖRZU: Herr Aust, gemeinsam mit Niki Stein haben Sie das Drehbuch zum TV-Film „Stammheim: Zeit des Terrors“ geschrieben. Welche Quellen haben Sie dafür genutzt?
STEFAN AUST: Ich beschäftige mich ja seit Jahrzehnten mit der Geschichte der RAF. Im Grunde genommen schon seit 1966, als ich bei der Zeitschrift „Konkret“ mit Ulrike Meinhof zusammengearbeitet habe. In das Drehbuch sind viele meiner Rechercheergebnisse aus all diesen Jahren eingeflossen. Drei Quellen waren dabei von besonderer Bedeutung.
Welche waren das?
Erstens die Protokolle des Stammheim-Prozesses. Das sind 28 Leitz-Ordner mit 14.800 Seiten, dazu kommen die Tonbänder. Zweitens der Untersuchungsausschuss zur Todesnacht. Bei dessen Sitzungen war ich der Einzige, der durchgehend gefilmt hat. Vor allem die Aussagen des Vollzugsbeamten Horst Bubeck, der in Stammheim für die Gefangenen zuständig war, liefern Erkenntnisse über den Alltag und das Verhalten der Gefangenen. Drittens und für das Drehbuch besonders wichtig: Nachrichten, die sich die RAF-Gefangenen gegenseitig geschrieben haben.
Entsprechen die Dialoge im Film exakt diesen Nachrichten?
Wir haben die schriftliche Kommunikation der Gefangenen in gesprochene Sprache übertragen und manchmal zum Verständnis etwas ergänzt oder umformuliert. Aber wie die Schauspieler im Film sprechen, ist so nah wie möglich an diesen Vorlagen geblieben. Das ist also authentisch.
Was erfahren die Zuschauer durch den Film über die RAF-Häftlinge?
Wie sie sich in eine Situation manövriert haben, in der sie am Ende geradezu übereinander herfielen. Ulrike Meinhof spielt dabei die zentrale Rolle. Sie ist als prominente Journalistin eher versehentlich in die RAF geraten. Baader und Ensslin hatten das Sagen. Sie haben Meinhof als prominentes Aushängeschild benutzt und sie in Stammheim gedemütigt. Meiner Einschätzung nach hatte Meinhof sich innerlich von der RAF gelöst, sah aber keine Möglichkeit, im Gefängnis auszusteigen.
Die Gefangenen beklagten sich über Isolationshaft, die sie als Folter ansahen. War das nur Propaganda?
Vor Stammheim saßen sie in unterschiedlichen Gefängnissen isoliert in Einzelzellen. Ob das Folter ist, kann man unterschiedlich sehen. In Stammheim aber wurde der Trakt extra für sie eingerichtet. Sie durften gemeinsam Hofgänge machen, auf dem Flur zusammensitzen. Sie haben Bücher und Schallplatten bekommen. Sehr komfortabel. Allerdings hatten sie keinen Kontakt zu anderen Gefangenen. Dadurch hockten sie ständig zusammen, und das hat Konflikte eskalieren lassen.
Wie haben sich die Gefangenen während der Haft verändert?
In Stammheim haben sie sich als Opfer gesehen. Und es änderte sich die gesamte Ausrichtung der RAF. Vorher hatte die Terrorgruppe politische Ziele, die sie mit Gewalt durchsetzen wollte. Aber als die Anführer in Stammheim saßen, drehte sich die RAF nur noch um sich selbst. Es ging ausschließlich darum, die Anführer irgendwie aus dem Gefängnis zu bekommen. Und auch die Inhaftierten kannten kaum ein anderes Thema. Zusätzlich führte die lange Haft bei ihnen zu psychischen Veränderungen. Depressionen und Aggressionen lagen bei den RAF-Häftlingen eng beieinander.