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Der Spatz ist bedroht  Er belegt den traurigen ersten Platz beim Vogelschwund

21.02.2023 um 11:15 Uhr
    Spatzenweibchen sind bräunlich und weniger kontrastreich als Männchen. | ©

    Seit Jahrtausenden ist der Spatz den Menschen vertraut. Doch das Tschilpen des frechen Nachbarn verstummt leider immer mehr.

    Sie flattern, springen, hüpfen. Dreist klauen sie uns Krümel vom Kuchenteller. Scheu? Keine Spur! Spatzen suchen seit Jahrtausenden die Nähe der Menschen. Da verwundert es schon, dass wir so wenig über unsere frechen Nachbarn wissen. Sogar geflügelte Worte über die „Allerweltsvögel“ führen oft in die Irre. Ein neues Buch über das erstaunliche Leben der Spatzen (siehe Buchtipp unten) räumt mit Irrtümern und Halbwahrheiten auf. Eine Liebeserklärung an die verkannte Vogelfamilie, die immer seltener zu sehen ist. Warum der Spatz im Dreck badet Ist der Spatz ein Dreckspatz? Falsch! „Der Mensch hat beobachtet, wie Spatzen im Sand baden, und daraus seine Schlüsse gezogen“, erklärt Autorin und Biologin Eva Goris. „Doch dieses sogenannte Hudern dient der Reinlichkeit. Die kleinen Vögel wälzen sich im Staub, um Parasiten loszuwerden.“ Mit den Sand- und Staubkörnern fallen auch unliebsame Untermieter wie etwa Milben aus dem Gefieder.

    Schönheitspflege spielt  eine große Rolle im Alltag der Spatzen

    Sie putzen sich ausgiebig mit dem Schnabel und baden in Pfützen mit sauberem Wasser. Damit das Gefieder wärmt, schützt und isoliert, muss es ständig in Schuss gehalten werden. Auch bei der Balz kommt es aufs Äußere an. „Wer zerfleddert aussieht, kann nicht gesund sein und hat daher keine Chance bei den Damen“, betont Eva Goris. Was pfeifen die Spatzen von den Dächern? Nichts. Spatzen tschilpen. Munter und etwas monoton.

    Mehrmals am Tag wird minutenlang gebadet. Am liebsten natürlich gemeinsam.

    Sie gehören zwar zu den Singvögeln und heißen wissenschaftlich korrekt Haussperlinge, begnadete Sangeskünstler sind sie aber nicht. Egal, Tschilpen erfüllt seinen Zweck. „Die kleinen Vögel haben eine ausgeklügelte Kommunikation“, stellt Expertin Goris klar. „Sie sind Koloniebrüter, sehr gesellig und eigentlich in ständigem Austausch mit den Nachbarn. Sie warnen, wenn ein Fressfeind auftaucht, etwa eine Katze oder eine Elster. Dieser Warnruf klingt für uns Menschen natürlich ein bisschen schrill.“ Kein Wunder also, dass auch „Schimpfen wie ein Rohrspatz“ zur Redewendung wurde. Sogar Flirten kann für unsere Ohren wie wüstes Gezeter wirken. Denn hier gilt: Wer am lautesten tschilpt, der kriegt die Braut. Der balzende Spatz muss ja nicht nur die Konkurrenz übertönen, sondern auch den Lärm der Stadt.

    Hat der Spatz ein Spatzenhirn?

    Was für eine Beleidigung für die quirligen Vögel! „Sie beobachten sehr genau und wissen auch genau, wo Futter für sie abfällt“, erzählt Eva Goris. „Aus allem ziehen sie Rückschlüsse und verhalten sich entsprechend.“ Um ihr Nest sauber zu halten, arbeiten Spatzen wie Kräuterhexen. Mit Blättern etwa von Schafgarbe und Wermut vertreiben sie Schädlinge, notfalls stecken sie sich trickreich Ameisen ins Gefieder. „Sie drücken und reiben darauf herum, bis diese als Abwehrmechanismus Ameisensäure verspritzen, die einwirksames Mittel gegen Parasiten ist“, verrät Eva Goris. Haussperlinge haben fast alle Lebensräume erobert. Dabei hilft ihnen das Motto: Einer für alle, alle für einen. Sie leben in kleinen Trupps zusammen und stimmen ihren Tagesablauf aufeinander ab. Alles machen sie gemeinsam: Tschilpen, Futtersuche, Baden, Nachwuchsaufzucht. Sogar die Jungvögel tun sich zusammen, wenn die Eltern mit der nächsten Brut beginnen. So können sie verschiedene Verhaltensweisen voneinander lernen.

    Erster Platz für den Spatz bei Studie zum Vogelschwund

    Klingt, als hätten die cleveren Vögel kaum Probleme. Doch leider ist auch das ein Irrtum. Die Weltnaturschutzorganisation IUCN führt sie zwar als „nicht gefährdet“, doch der weltweite Bestand ist rückläufig. Eine 2021 veröffentlichte Studie zum Vogelschwund führt den Haussperling mit europaweit knapp 250 Millionen verlorenen Individuen auf dem traurigen ersten Platz der Verliererliste. „Vor allem zwei Gefahren machen den Spatzen zu schaffen“, warnt Expertin Eva Goris. „Zum einen das Insektensterben. Die Küken brauchen das Eiweiß von Insekten, um überhaupt erwachsen zu werden. Zum anderen fehlen geeignete Plätze zum Nisten.“ Die Winzlinge sind Höhlenbrüter und bauen ihre Nester am liebsten in Nischen an Gebäuden, unter Hausdächern oder im rankenden Efeu an Wänden. Und was bieten moderne Städte? Immer mehr glatte Glasfassaden, energieeffiziente Verschalungen und kahle, verödete Gärten.

    Warum der Spatz in China verfolgt wurde

    Immerhin: Als Schädlinge gelten die Körnerfresser nicht mehr. Das war in früheren Jahrhunderten anders. Noch Mitte der 1950er-Jahre erklärte Chinas Machthaber Mao Tse-tung die Spatzen zu „Feinden des Kommunismus“, weil sie auf den Getreidefeldern wüteten (siehe TV-Tipp). Rund zwei Milliarden der zierlichen Vögel verloren in der folgenden Vernichtungskampagne ihr Leben. Der Erfolg blieb aus. Denn sie fressen nicht nur das Getreide, sondern auch die Getreideschädlinge. Die vermehrten sich explosionsartig und sorgten für viel größere Ernteausfälle. „Nein, der Spatz ist kein Schädling“, fasst Eva Goris zusammen. „Und für die paar Krümel, die wir unter den Tisch fallen lassen, macht er sich als Müllabfuhr verdient.“

    Buchtipp: Eva Goris, Claus-Peter Hutter: "Federleicht - Das erstaunliche Leben der Spatzen" (Heyne)

    TV-Doku zum Thema: "ARTENSTERBEN: NA UND?" Mit einem Beitrag über Spatzen in China. Aus der Reihe „Leschs Kosmos“, Di, 28. Februar, 22.45 Uhr im ZDF :

    Arte-Doku zum Thema: Vielfalt statt Artensterben