Stuttgarter "Tatort": Gab es Geiselnahmen durch Rechtsextreme in Deutschland?
Im "Tatort: Verblendung" mit Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) nahmen am Sonntagabend rechte Terroristen einen Stuttgarter Kinosaal gefangen, um Kameraden freizupressen. Gab es das schon mal in der Wirklichkeit - eine Geiselnahme durch Rechtsradikale?
Split-Screen im deutschen "Tatort", also ein geteilter Bildschirm mit zwei gleichzeitigen Handlungen: So etwas sieht man selten! Vielleicht war es im "Tatort: Verblendung" eine Hommage an die 70er-Jahre, als das Thriller-Kino gern mit diesem Stilmittel arbeitete. Der Fall einer Geiselnahme im Stuttgarter Kino erinnerte ein wenig an das Genrekino jener Tage. Darüber hinaus war Split-Screen die einzige Möglichkeit, Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) gemeinsam in Szene zu setzen.
Der eine Kommissar war nämlich Geisel, der andere Teil des Krisenstabes außerhalb des Kinos. Diesmal also keine Buddy-Ermittlung für die sympathisch verschmitzten Stuttgarter. Interessant war die Forderung der rechten Geiselnehmer im Film: Sie fürchteten, dass Kameraden im Knast vom Staat getötet werden sollen. Doch "arbeiten" deutsche Rechtsterroristen überhaupt mit Geiselnahmen? Gibt es einen echten Fall als Vorlage? Und wer spielte die ebenso stressige wie gestresste Geiselnehmerin?
Worum geht es?
Lannert (Richy Müller) bat seinen Partner Bootz (Felix Klare) darum, für ihn zu einer Filmvorführung zu gehen. Staat und Polizei hatten zu einem Event geladen. Kaum hatte die Vorstellung mit prominenten Gästen angefangen, bedrohten zwei Geiselnehmer die Kinobesucher mit ihren Waffen. Es kam zum Schusswechsel, ein Sicherheitsbeamter starb - etliche Menschen konnten aus dem Kinosaal fliehen.
Beim Gefecht hatte Bootz einen der Geiselnehmer erwischt: Steffen Lippert (Christoph Franken) war schwer verletzt. Er und seine Komplizin Karin Urbanski (Anna Schimrigk) dachten jedoch nicht daran aufzugeben. Ihre Forderung lautete: Rechtsradikale Gesinnungsgenossen sollen aus dem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim freigelassen werden, weil sie auf einer geheimen Todesliste des Staates stehen. Während die Situation im Kino eskalierte, versuchte Lannert als Teil der SOKO außerhalb des Kinos herauszufinden, ob etwas am Vorwurf der Rechtsterroristen dran ist - und wie man sie austricksen könnte.
Worum geht es wirklich?
Das erfahrene "Tatort"-Autorenduo Katharina Adler und Rudi Gaul (auch Regie), das fürs Stuttgarter Revier unter anderem die starke Folge "Videobeweis" kreierte und zuletzt für den KI-Ökothriller "Tatort: Borowski und das ewige Meer" verantwortlich zeichnete, erzählt von zwei Dingen: zum einen von der emotionalen Dynamik einer Geiselnahme und zum anderen vom Vorwurf der Rechten, der Staat würde ihre inhaftierten Kameraden heimlich töten.
Letzteres eine klassische Verschwörungstheorie? Lannert, ganz nüchterner Ermittler, geht ihr trotzdem nach - was der interessantere Teil der Handlung ist. Die Theorie der Terroristen folgt dem aktuellen Trend, den Staat zu delegitimieren: Politiker sind demnach Verbrecher und Drahtzieher eines Unrechtsstaates, Polizei und andere Behörden ihre willfährigen Gehilfen. Eine gefährliche, aber populäre Verschwörungstheorie, die beim eigenen Radikalisieren hilft.
Gab es Geiselnahmen durch Rechtsextreme in Deutschland?
Geiselnahmen verbindet man eher mit dem Links-Terrorismus der RAF in den 70-ern. Damals gab es die Geiselnahme in der deutschen Botschaft von Stockholm (1975) sowie die eng miteinander verbundenen Entführungsfälle Hanns Martin Schleyers und die von arabischen Verbündeten durchgeführte Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" (beides 1977). Ziel der RAF war es jeweils, in Haft sitzende Kampfgenossen freizupressen. Wahrscheinlich wählten die "Tatort"-Macher das Mittel einer Geiselnahme, weil im Film ebenfalls ein Gefangenenaustausch vorgeschlagen wird. Pikanterweise sitzen diesmal die Rechtsterroristen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim ein - und nicht die Linken. Doch auch diesmal - so die Legende der Terroristen - sollen die Gefangenen vom Staat heimlich ermordet werden.
Tatsächlich kennt der Terrorismus heute kaum noch Geiselnahmen. Vielleicht, weil die Forderungen der Täter nur selten erfüllt werden (der Staat will sich nicht erpressbar zeigen). Und weil es nicht darum geht, Gleichgesinnte freizupressen. Der Terror der letzten Jahrzehnte ist einer der Anschläge und Morde. In Deutschland waren dies islamistische Anschläge und natürlich die rechten Morde des NSU. Prominente Geiselnahmen durch Rechtsextreme in Deutschland gibt es kaum.
Halle-Attentäter Stephan B. nahm im Dezember 2022 im Gefängnis Burg bei Magdeburg kurzzeitig zwei Bedienstete als Geiseln, um seine Freilassung zu erpressen. Ein Mitglied der rechten "Gruppe S." war in der Vergangenheit wegen der Geiselnahme eines Polizisten mehrere Jahre in Haft. Während der Reichsbürger-Razzien im Dezember 2022 wurden Deportations- und Internierungspläne aufgedeckt, die man als geplante Massen-Geiselnahme betrachten kann.