„Drei Jahre ohne Handy“: Neue TV-Doku über Handwerker auf Wanderschaft

06.05.2025 um 19:30 Uhr
    Wandergeselle Phillip auf der Milserburg in der hessischen Rhön. | ©

    Zur ZDF-Reportage „Auf der Walz“ spricht HÖRZU mit zwei Handwerkern über ihr Abenteuer Wanderschaft.

    Ein Artikel von HÖRZU Reporter Dirk Oetjen

    Handwerksgesellen, die auf die Walz gehen, suchen in dieser alten Tradition vielleicht die große Freiheit in der Fremde, die Gelegenheit, sich in harter Arbeit zu bewähren und neue Fertigkeiten zu lernen, oder die Chance, den Horizont zu erweitern und neue Menschen kennenzulernen. Seit 2015 zählt das Ritual zum immateriellen Weltkulturerbe. Akkurat heißt es eigentlich nicht Walz, sondern Wanderschaft oder Tippelei, doch die Reisenden verwenden den Begriff mitunter selbst.

    Phillip, der als 19-jähriger Tischlergeselle ab Dezember 2021 dazu aufbrach, hat auf diese Weise sogar eine zweite Heimat gefunden. Der bei Salzwedel in Sachsen-Anhalt Aufgewachsene kam im März 2022 nach Fulda, um in der Zimmerei eines „Einheimischen“ zu arbeiten – so werden die wandernden Handwerker nach ihrer Heimkehr genannt. „Ich bin ein bisschen dort hängen geblieben und habe auch meine Freundin dort kennengelernt“, erzählt Phillip.

    Während der Walz reiste er bis nach Norwegen, Österreich und Südtirol, kehrte aber immer wieder in die hessische Rhön zurück. Nun ist der 23-Jährige dort selbst Einheimischer, arbeitet als Zimmerer und plant, bald seinen Meister zu machen. Als einer von hierzulande nur wenigen Hundert Wandergesellen wurde er von einem Team der ZDF-Reihe „37 Grad“ für eine Reportage auf seiner Wanderschaft begleitet (Di, 6. Mai, 22.25 Uhr im ZDF und in der Mediathek).

    Patricia lernte auf der Walz, sich auf Neues einzustellen.

    Auf die Walz dürfen nur Ledige unter 30 mit abgeschlossener Lehre, die keine Schulden haben. Wandernde Gesellen müssen mindestens drei Jahre und einen Tag unterwegs sein. Es ist auch nicht erlaubt, ein Handy zu besitzen sowie Geld für Fortbewegung und Unterkunft im deutschsprachigen Raum auszugeben. Wandergesellen trampen viel und hoffen, gegen Arbeit eine Nacht auf einer Couch angeboten zu bekommen. Wie kann man da überhaupt planen? „Du kannst das Trampen nicht kalkulieren, und dadurch wird es stressig, Termine zu haben“, erklärt Phillip im Gespräch mit HÖRZU. „Ich habe eher die Zeit an einem Platz genossen, als dann schon wieder wegzumüssen, weil man sich etwas vorgenommen hat.“

    Die Heimat ist während der Walz tabu, der Bannkreis beträgt 50 Kilometer. Wenn die Lieben nicht zum Gesellen reisen können, entfällt Weihnachten oder der Geburtstag im Kreis der Familie. „Meinen Geburtstag habe ich oft mit anderen Wandergesellen oder Einheimischen verbracht“, sagt Phillip. „Ich habe auch immer mal wieder versucht, für Treffen in die Nähe meiner Bannmeile zu kommen. Je näher du kommst, umso komischer wird das Gefühl, weil du weißt: Gehst du jetzt zu nah heran, ist es vorbei.“ Hinter den strikten Regeln steckt eine lange Tradition. Schon zur Zeit der Romanik und Gotik wanderten zum Teil ganze Bauhütten von einem Kirchenprojekt zum nächsten.

    Seit dem Spätmittelalter war es Pflicht, auf Wanderschaft zu gehen, bevor man Meister werden durfte. Die Bannmeile entstand aus einem „Fachkräfteüberangebot“: Die Zünfte als Arbeitgeber schickten ihre Gesellen weit weg, um Konkurrenz zu vermeiden. Organisiert waren die arbeitnehmenden Handwerker in Vereinigungen, Gesellschaften, Schächten oder Bruderschaften. Sie existieren bis heute und bieten ein Netzwerk mit Anlaufstellen für Gesellen auf der Walz. Phillip gehört dem Rolandschacht an, der 1891 entstand. Rolandsbrüder tragen eine blaue „Ehrbarkeit“, ein schmales Band mit goldener Handwerksnadel, und wie alle Holzgewerke eine schwarze KluftSpätestens nach Einführung der Gewerbefreiheit 1869 nahm das Gesellenwandern in Deutschland ab, im Nationalsozialismus wurden Wandergesellen verfolgt und ermordet.

    Dennoch hat vieles in Alltag und Kultur überlebt: von Franz Schuberts Kompositionen „Winterreise“ und die „Die schöne Müllerin“, in denen die Tippelei thematisiert wird, bis zum Song „Waltzing Matilda“. Auch das Abklatschen junger Leute zur Begrüßung geht auf das beidhändige Klatschen von Gesellen zurück. Der Begriff „Schlitzohr“ erinnert wiederum an eine Bestrafung: Wer auf der Walz Regeln brach, dem wurde der Ohrring abgerissen. Dieser einzige Schmuck, den Wandergesellen zur Schau stellen dürfen, war früher aus Gold und diente im Todesfall zur Bezahlung der Beerdigung.

    Ab den 1970ern wurde die Walz wieder modern. Es entstanden neue Gesellschaften wie „Axt und Kelle“, denen auch Frauen angehören können. Die größte, schon länger existierende Gruppe stellen aber die freireisenden Wandergesellen dar. Sie sind nicht in einem Schacht organisiert und tragen keine Ehrbarkeit. Ihnen gehört Patricia* an. Die Wandergesellin wird ebenfalls in der „37 Grad“-Reportage porträtiert.

    Genau ein Jahr, sieben Monate und drei Tage ist die Kaiserslauterin schon auf der Walz, als sie extra für diesen HÖRZUReport nach Hamburg kommt. In ihrem „Charlie“, einem Tuch, ist ihr Hab und Gut eingewickelt. Der Name stammt aus der Zeit, als Gesellen nicht mit Rucksäcken aus Leder oder Fell nach Charlottenburg einreisen durften – um kein Ungeziefer einzuschleusen. Alles Notwendige hat Patricia dabei, etwa Wechselkleidung – und Werkzeug: „Damit könnte ich jetzt bei dir zu Hause den Boden legen“, sagt die 28-Jährige. Da sie zwei Gesellenbriefe hat, ist auch ihre Kluft zweifarbig: „Grau, weil ich Steinmetzin bin: Grau, Weiß und Beige stehen für die Mineralgewerke. Und Grün, das ist die Farbe der Agrar- und Gärtnerberufe. Ich habe auch Zierpflanzengärtnerin gelernt.“

    Mit ihrer Kluft, die von einer spezialisierten Schneiderin angefertigt wurde, fällt sie stark auf: „Manchmal ist es wie in einer Saloon-Szene im Western: Wenn ich irgendwo reingehe, richten sich gefühlt alle Augen auf mich. Damit muss man lernen umzugehen. Aber es kommen auch 13-Jährige auf mich zu und finden meine Kleidung schön – auch wenn sie nicht wissen, worum es geht. Das finde ich süß.“ Immer wieder müsse Patricia auch mit Klischees aufräumen: Ja, Frauen gingen auf die Walz – und könnten Steinmetzin werden. „Werde ich besorgt gefragt, ob das nicht sehr schwer sei, muss ich immer lächeln. Es gibt heutzutage diverse Hilfsmittel. Ich muss das nicht alles heben“, sagt sie.

    Nicht nur Zimmerer, auch Gewerke wie Friseure und Hutmacherinnen machen sich auf den Weg. Zuletzt wurde 2016 für Gesellen aus der Lebensmittelbranche wie Bäcker und Brauer, zu erkennen an einer karierten Pepitakluft, eine Gesellschaft gegründet: die Vereinigten Löwenbrüder und Schwestern Europas. Bei einem einheimischen Bäcker in Königs Wusterhausen hat Patricia ein paar Wochen mitgearbeitet. Denn auch das gehört zur Walz: anderen Interessen nachgehen und sich ausprobieren.

    Am Ende unseres Gesprächs leiht sich Patricia das Handy. Sie möchte sich mit einer Bekannten verabreden, um sie zu treffen. Niemand nimmt den Anruf entgegen, aber Patricia bleibt optimistisch. Wird schon klappen! Auf der Walz bleibt einem nichts anderes übrig, als flexibel zu sein und Vertrauen zu haben.

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