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Bundesliga-Doku: Béla Réthy holt Fußball-Legenden zurück

05.08.2023 um 09:30 Uhr
    Bundesliga Doku Titelbild | © ZDF / Falco Seliger Über Günter Netzers Interview hat sich Réthy besonders gefreut. | ©ZDF / Falco Seliger

    Stars, Spektakel & Skandale: In einer Doku blickt Béla Réthy zurück auf die Geschichte der deutschen Vorzeige-Liga.

    Ein Artikel von Michael Tokarski.

    Es war ruhig geworden um Béla Réthy. Im Dezember 2022 hatte der Reporter bei der WM sein letztes Live-Spiel kommentiert. Um den 66-Jährigen nochmals aus dem Ruhestand zu locken, war schon ein ganz besonderer Anlass nötig. Der ist nun da. „Titel, Tore, tausend Träume: 60 Jahre Bundesliga mit Béla Réthy“ – so heißt die Reportage, die der Sportreporter zum runden Jubiläum der deutschen Vorzeige-Liga gedreht hat.

    Seit dem ersten Anstoß am 24. August 1963 gab es in der Fußball-Bundesliga viele denkwürdige Momente und legendäre Spieler. Ihnen geht Réthy nach, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit. „Ich bin kein Dokumentarist, der chronologisch alles abarbeitet“, sagt er im Interview. „Es geht vielmehr darum, wie ich die Liga empfunden habe.“ Anfang der 1980er kommentierte Réthy erstmals Spiele für „das aktuelle sportstudio“. Seitdem hat er Kontakte zu vielen Profis geknüpft – was sich nun auszahlte, als er Interviewpartner suchte: „Wir haben alle bekommen, die wir haben wollten. Nur Franz Beckenbauer hat abgesagt, weil er sich im Moment nicht fit genug fühlt.“

    Réthy sprach mit aktuellen Stars wie Thomas Müller oder Youssoufa Moukoko, vor allem aber mit einstigen Liga-Größen wie Horst Hrubesch, Jürgen Klopp, Aílton, Toni Schumacher, Oliver Kahn und Felix Magath. Über einen hat sich Réthy besonders gefreut. „Mein Held als Kind war Günter Netzer“, sagt der Sportjournalist über Gladbachs einstigen Mittelfeldstrategen. „Netzer hat seit vielen Jahren kein TV-Interview mehr gegeben. Das hat schon ein bisschen Überzeugungsarbeit gekostet. Als ich ihn in Hamburg traf, habe ich gefragt, ob er noch Sport treibe. Nee, meinte er – Sport habe er noch nie getrieben.“

    Réthy, der bis zu seinem elften Lebensjahr in Brasilien gelebt hatte, verliebte sich Ende der 60er in die Bundesliga. Der erste Stadionbesuch seines Lebens: Bayern gegen Köln, Beckenbauer gegen Overath. Gespielt wurde noch nicht im Münchener Olympiastadion, sondern im kleineren Stadion an der Grünwalder Straße. Genau dort traf Réthy jetzt für den Dokudreh den damaligen Bayern-Torwart Sepp Maier. „Maier erzählte mir, dass die Leute, deren Wohnung hinter dem Tor war, bei Spielen immer das Fenster geöffnet haben. Nicht um das Spiel zu sehen, sondern weil sie Angst hatten, dass Mittelfeldspieler Franz Roth – Spitzname ‚Bulle‘ – ihnen die Scheibe einschießt.“

    Auch Bestechung ist Thema

    Auch die Schattenseiten der Liga spart die Doku nicht aus. Mit Ex-Stürmer Klaus Fischer spricht Réthy etwa über den Bundesliga-Skandal von 1971, bei dem gegen Geld der Ausgang von Spielen manipuliert wurde. Überführt wurden Trainer, Funktionäre und insgesamt 52 Spieler – darunter auch der damals 21-jährige Fischer. „Er nennt es den größten Fehler seines Lebens“, sagt Réthy. „Gerüchteweise gab es ja auch schon vorher Spielabsprachen. Inzwischen verdienen die Spieler aber alle so gut, dass die Gefahr geringer ist. Der einzige Vorteil des Kommerzes.“ Anders als zu Beginn der Liga sind die Spieler längst Profis. Die besten unter ihnen verdienen rund 20 Millionen Euro pro Jahr. Manche sind nicht mehr nur Fußballer, sondern Marken – inklusive sorgsam geplanter Social-Media-Posts und gescripteten Torjubels.

    „Ich will nicht verklären, was früher war“, sagt Réthy. „Der Sport an sich ist schneller, athletischer, besser geworden. Sogenannte Jahrhundertspiele von damals waren oft doch ein ziemlich langweiliges Gekicke.“ Trotzdem hätten die alten Zeiten ihren eigenen Charme gehabt: „Bundesliga-Rekordspieler Karl Heinz Körbel verriet mir, dass sie in den 70ern vor Spielbeginn noch auf dem Platz einen Espresso getrunken haben. Und direkt davor hatten sie Schnitzel mit Sauce béarnaise gegessen! Man dachte: Ja, das sind zwar die besten Fußballer des Landes, aber trotzdem ging es ihnen auch darum, Spaß zu haben. Genau dieses Gefühl vermisse ich heute manchmal.“

    Am 5. August läuft „Titel, Tore, tausend Träume“ um 23.00 Uhr im ZDF.

    Claudia Neumann fordert "DFB muss historisch gewachsene Ungerechtigkeit ausgleichen"

    Nichts scheint Menschen zuverlässiger auf die Palme zu bringen als Frauen in der Fußballberichterstattung. Das bekommt auch Reporterin und Kommentatorin Claudia Neumann oft zu spüren.  Sie hat mit uns über ihre Vorbereitungen auf die Frauen-WM, ihre Prognose für die Nationalmannschaft und Gleichberechtigung beim DFB gesprochen. Die 59-Jährige arbeitet seit 1999 für das ZDF und war bei der Frauen-Fußball-WM in Deutschland die erste WM-Kommentatorin im deutschen TV. Am Montag kommentiert sie den Turnierstart des deutschen Teams gegen Marokko in Melbourne (Montag, 24. Juli, ab 10.30 Uhr im ZDF) und hat mit uns über ihre Vorbereitungen auf die Frauen-WM, ihre Prognose für die Nationalmannschaft und die Gleichberechtigung beim DFB gesprochen. Mit welchen Gefühlen blicken sie auf die kommende WM - Wie stehen die Chancen für die deutschen Frauen? Ich freue mich sehr auf diese WM, weil wir ziemlich sicher ein hohes Fußballniveau erleben werden. Die Teams aus den USA, aus Brasilien oder Australien werden den sportlichen Genuss, den wir im vergangenen Jahr bei der EM in England schon erleben durften, noch steigern. Die Einschätzung der deutschen Mannschaft ist schwierig: Die Spiele in diesem Kalenderjahr waren wenig überzeugend. Ein starker Turnierauftakt gegen Marokko kann aber die Ventile öffnen – dann ist alles möglich. Welche deutschen Spielerinnen sind aus ihrer Sicht potenzielle WM-Stars? Alex Popp kann wieder eine entscheidende Rolle spielen. Ihr Spiel ist leidenschaftlich und zuweilen spektakulär. Lena Oberdorf ist schon an der Pforte zur Weltspitze. Jule Brand traue ich den Durchbruch vom Talent zum WM-Star ebenfalls zu, wenn sie denn genügend Spielzeit bekommt und zeigen kann, was in ihr steckt. Viele verbinden mit einer Fußball-WM Grillabende mit Freunden. Bei dieser WM werden die Fußball-Fans wohl eher ihren ersten Kaffee am Morgen genießen, während in Australien bereits die Abendspiele beginnen. Glauben Sie, dass die Zuschauer trotzdem einschalten? Das ist so ein bisschen in Mode gekommen, die Anstoßzeiten zu hinterfragen. Die Weltkugel bietet nun mal unterschiedliche Zeitzonen und Fußballturniere wurden auch früher schon auf anderen Kontinenten ausgetragen. Ich finde, jede Tageszeit hat ihren Reiz. Außerdem kann man die WM-Spiele auch jederzeit in den Mediatheken von ARD und ZDF "on demand" schauen. So machen das doch die jungen Leute ohnehin, habe ich mir sagen lassen. Sie werden bei der Frauen-WM als Live-Kommentatorin vor Ort sein. Wie bereiten sie sich auf die Live-Auftritte vor? Viele Stunden Hausaufgaben gehen dieser Angelegenheit voraus. Alle Teams, alle Spielerinnen müssen recherchiert werden. Das ist mitunter deutlich komplizierter als beim Männerfußball, weil erheblich weniger gesicherte Informationen zu finden sind. Auch aktuelles Bildmaterial gibt es von den exotischen Teams kaum. Ich habe mir so viele Testspiele wie möglich angeschaut, der Rest erfolgt jetzt vor Ort. Die letzte Europameisterschaft der Frauen hat einen regelrechten Hype ausgelöst. Trotzdem ist im Land wenig Fußball-Fieber zu spüren so kurz vor der Weltmeisterschaft. Ist es tatsächlich die zeitliche und räumliche Entfernung zum Geschehen, oder haben die Deutschen doch kein Interesse am Frauenfußball? Haben Sie denn im vergangenen Winter während der Männer-WM in Katar oder im Sommer 2021 während der über Europa verteilten Männer-EM so viel Stimmung in Deutschland wahrgenommen? Es hängt zunächst mal von den Auftritten der deutschen Mannschaft ab. Mir ist der Begriff Hype im Zusammenhang mit der guten Entwicklung des Frauenfußballs ohnehin viel zu überstrapaziert. Prima Spiele haben im vergangenen Sommer auch Menschen vor den Fernseher gelockt, die nicht zum festen Kreis der Frauenfußballfans zählen. Das kann auch diesmal wieder passieren, wenn es gut läuft. Sie begleiten die Nationalmannschaft der Frauen seit 20 Jahren bei allen wichtigen Turnieren als Reporterin. Was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre im deutschen Frauenfußball? Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Die Fußballerinnen haben es verdient, dass sie genauso behandelt werden wie Fußball spielende Männer. Das heißt Equal Play und Equal Pay, was die Unterstützung der jeweiligen Verbände betrifft. Speziell der DFB muss eine historisch gewachsene und durch das einstige Verbot des Frauenfußballs auch selbst verschuldete Ungerechtigkeit ausgleichen. Im Vereinswesen ist das etwas völlig anderes.