Wenn die Rente nicht reicht: ZDF-Doku zeigt, wie Senioren schuften müssen

03.06.2025 um 16:30 Uhr
    Wenn die Rente nicht reicht | © ZDF
    Angelika (75) wohnt in Berlin und arbeitet in Spätschicht. Sie nimmt einen weiten Arbeitsweg in Kauf, um Regale in einem Supermarkt einzuräumen – für den gesetzlichen Mindestlohn pro Stunde. | ©ZDF

    Arm im Alter: Eine ZDF-Doku zeigt, was manche Senioren tun, um über die Runden zu kommen. In HÖRZU gibt ein Experte Tipps.

    Ein Artikel von HÖRZU-Reporterin Mirja Halbig

    Millionen von Menschen sind in Sorge, aber nicht alle sprechen darüber: Es ist die Angst, dass das Konto im Alter leer sein könnte, obwohl die meisten von ihnen im Leben viel gearbeitet haben. Fast jeder Fünfte in Deutschland ist von Altersarmut betroffen. Die ZDF-Reihe „37 Grad“ widmet sich diesem Thema und begleitet für die Dokumentation „Rente? Reicht nicht!“ (Di, 3. Juni, 22.15 Uhr im ZDF) drei Senioren, die zwischen 71 und 85 Jahre alt sind und weiter arbeiten, auch wenn die Kräfte weniger werden. In HÖRZU erklärt der Rentenexperte Dr. Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, warum man sich nicht scheuen sollte, Hilfe anzunehmen, und worauf es im Alter ankommt.

    Insgesamt ist die Zahl der arbeitenden Rentner in den vergangenen fünf Jahren um 25 Prozent auf knapp 1,5 Millionen gestiegen. Die einen tun es, weil sie unter Menschen sein möchten und es sie erfüllt – andere, weil sie müssen. So wie Angelika, die in einem Berliner Supermarkt mit anpackt. Sie ist 75 Jahre alt und nach der Scheidung ihres Manns von Düsseldorf in die Hauptstadt gezogen. Dort lebt sie in einer Einzimmerwohnung. „Ich war 28 Jahre berufstätig in verschiedenen Jobs und habe mich auch um meine Tochter gekümmert. Dadurch ist meine Rente relativ klein geblieben.“ Sie beträgt 870 Euro netto im Monat.

    Nun verdient Angelika auf Minijob-Basis 500 Euro pro Monat dazu – sie bekommt den gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 Euro pro Stunde. „Ich bin glücklich, dass ich einen Job gefunden habe, auch wenn einige in meinem Umfeld die Tätigkeit belächeln“, sagt die Seniorin. Sie schleppt Kisten durch den Laden, sortiert Waren in die Regale ein, kassiert oder hilft Kunden weiter. „Ich merke, dass die Knie stark belastet werden, und ich spüre es auch im Kreuz durch die Haltung“, sagt Angelika. „Wenn ich Feierabend habe, bin ich ziemlich müde und geschafft. Man sagt immer, dass Verkäuferin eine einfache Arbeit ist, aber wenn ich wieder zu Hause bin, spüre ich, dass ich ganz schön was getan habe und der Körper viel leisten muss.“

    Die größten Gefahren, finanziell in Not zu geraten, sind längere Erwerbsunterbrechungen im Leben – auch durch eine Krankheit oder Baby- und Erziehungspausen. Ein weiterer Faktor ist eine schlechte Bildung. Langzeitarbeitslose sind ebenfalls eine Risikogruppe für Altersarmut. Denn grundsätzlich gilt: Wer weniger Jahre arbeitet, zahlt weniger in die Rentenversicherung ein und bekommt am Ende weniger Rente raus. Um später nicht in Armut zu enden, sollte man laut Experten am Ende seines Arbeitslebens etwa 35 Versicherungsjahre zusammenhaben.

    „Besonders betroffen von Altersarmut sind Frauen, weil sie oft schlechter abgesichert sind“, sagt Dr. Geyer. „Wenn sie für die Kinder pausiert haben, fällt die Rente oft kleiner aus. Außerdem werden Frauen meist älter als Männer – und Witwen erhalten nicht den vollen Betrag, den der Ehemann bekommen hätte.“ Die Grafik auf Seite 20 zeigt zudem, dass die Armutsquote bei Rentnern in Westdeutschland heute höher ist als bei Rentnern in Ostdeutschland, wo Frauen nach der Geburt viel früher wieder ins Arbeitsleben zurückkehrten. Laut Daten des Statistischen Bundesamts kletterte die Armutsgefährdungsquote bei den über 65-Jährigen von 18,4 Prozent im Jahr 2023 auf inzwischen 19,6 Prozent – ein deutlicher Anstieg. Umgerechnet sind damit aktuell etwa 3,54 Millionen Menschen davon betroffen.

    Bei den über 80-Jährigen liegt die Quote noch höher

    Fast ein Viertel von ihnen leben bereits in Armut. Insgesamt fällt der Anstieg im Segment der Rentner stärker aus als in der Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2024 waren 15,5 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, also rund 13,1 Millionen Menschen in Deutschland. Doch wann gilt man hierzulande eigentlich als „armutsgefährdet“? Antwort: Mit einem Einkommen von 1381 Euro netto im Monat. Alle, die mit weniger als 917 Euro auskommen müssen, werden dann als „arm“ eingestuft.

    Nicht immer sind die Qualität der Ausbildung, das Geschlecht oder die Arbeitsjahre ausschlaggebend dafür, dass das Geld im Alter knapp wird. Wie im Fall des 71-jährigen Ebi aus Hamburg. Er hat in der Schweiz Chemieingenieurwesen studiert und war viele Jahre als Im- und Exporthändler selbstständig. Sein großer Fehler: Als er gut verdiente, hat er schlichtweg nicht daran gedacht, etwas für die späten Jahre zurückzulegen. Obendrein erlitt er einen Bandscheibenvorfall und konnte seinen Beruf mit den vielen Reisen nicht mehr ausüben. Ihm blieben nur noch die Ersparnisse, die sich irgendwann auch erschöpften.

    Ebi erinnert sich: „Eines Tages habe ich gerechnet, und mir wurde klar: So geht es auf keinen Fall weiter! Mir blieben nur noch 100 Euro im Monat.“ Bei den Maltesern hat der Hamburger nun einen Job als Deutschlehrer. Mit 71 Jahren arbeitet er in Vollzeit und verdient 3200 Euro brutto im Monat. „Mit 40 Jahren hätte ich auch nicht gedacht, dass ich jetzt immer noch arbeiten muss“, sagt Ebi. „Jedes Jahr wird man älter, und man merkt es überall: in den Beinen, an Händen und Fingern.“

    Fatal ist: Man kann selbst nicht mehr viel ändern, wenn man im Alter feststellt, dass man finanziell kaum über die Runden kommen wird. Dann ist der Zug oft schon abgefahren. „Wer spät im Leben feststellt, dass es knapp wird und er an der Situation nicht mehr viel ändern kann, muss sich informieren, wie der Staat einen unterstützt, und Anträge stellen, etwa auf Wohngeld oder Grundsicherung“, sagt Rentenexperte Dr. Johannes Geyer. „So kann jeder sein Einkommen aufstocken. Ein paar Hundert Euro machen einen großen Unterschied.“ Geyer empfiehlt Betroffenen, sich von Sozialverbänden wie dem VdK (www.vdk.de) beraten und helfen zu lassen. Sozialexperten gehen davon aus, dass deutlich mehr Menschen berechtigt wären, Bezüge zu erhalten, als bisher bei den Ämtern registriert sind. Manche Menschen überfordert der Aufwand, da das Prozedere ihnen zu kompliziert erscheint. Andere hält schlichtweg der Stolz davon ab.

    Dieses Gefühl kennt auch die 85-jährige Vanessa aus Frankfurt, die keine finanzielle Hilfe von ihrer Familie bekommen möchte. Die gelernte Friseurin übt stattdessen noch mehrere Berufe aus: Sie hat das Kinderzimmer ihrer erwachsenen Söhne in eine Fußpflegepraxis umgewandelt und gibt auch Bewegungskurse für Senioren. Damit verdient die dreifache Mutter etwa 30 Euro pro Stunde. „Natürlich würden mich meine Kinder unterstützen, aber es ist mir irgendwie unangenehm“, so Vanessa. „Keine Oma nimmt gern das Geld der Jüngeren in der Familie an.“

    Was erwarten Experten für die Zukunft?

    Aktuell dürfen Rentenbezieher 6300 Euro pro Jahr dazuverdienen – was darüber liegt, wird zu 40 Prozent von ihren Altersbezügen abgezogen. Eine Idee der neuen, schwarz-roten Bundesregierung lautet sogar: Rentner sollen 2000 Euro pro Monat steuerfrei beziehen können. Aber ist das die Zukunft? Was erwarten Experten? Wie sich die Altersarmut entwickelt, hängt stark von der zukünftigen Rentenpolitik ab. „Wir beobachten, dass die Altersarmut in den vergangenen zehn Jahren nicht so extrem gestiegen ist wie in den Jahren zuvor“, sagt Dr. Geyer. „Es liegt daran, dass viele Leistungen ausgebaut wurden.

    Beispiele sind die Mütterrente und die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente. Und es gab relativ gute Rentenanpassungen.“ So wird es ab 1. Juli wieder eine Erhöhung geben: um 3,74 Prozent. Bei einer bisherigen monatlichen Bruttorente von 700 Euro bedeutet das: 26,18 Euro mehr. Für Menschen wie Angelika, Ebi und Vanessa ein Lichtblick – wenn auch nicht die Lösung für all ihre Probleme: Theater- und Kinobesuche mit Freunden bleiben die Ausnahme, eine kaputte Waschmaschine kann nach wie vor eine finanzielle Katastrophe bedeuten.

    „Ich werde dieses Jahr 86 Jahre alt“, sagt Vanessa. „Die Arbeit ist für mich eine positive Sache, weil ich gerne mit Leuten zusammen bin. Aber wie wird das werden, wenn ich nicht mehr kann und nicht mehr so mobil bin? Ich muss positiv in die Zukunft schauen. Das werde ich auch tun.“ Genau wie Ebi, Angelika und Millionen andere in Deutschland.

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