„Tatort“ im Quoten-Sinkflug – zieht der „Polizeiruf 110“ vorbei?

Mike Powelz | © Mike Powelz Mike Powelz
11.06.2025 um 10:15 Uhr
    „Tatort“ im Quoten-Sinkflug – zieht der „Polizeiruf 110“ vorbei? | © ARD
    Warum ist der „Tatort“ (hier rechts das Team aus Dortmunf) quotenmäßig im Sinkflug? Und was macht der „Polizeiruf 110“ (links das Team aus Rostock) plötzlich besser? | ©ARD

    Die Frage, welche ARD-Krimis die besseren sind, „Tatort“ oder „Polizeiruf 110“, lässt sich objektiv sicher nicht beantworten. Beide Krimireihen haben ihre Stärken und Schwächen. Die Quoten zeigten früher eindeutig, wer in der Zuschauergunst die Nase vorn hat, aber der Abstand zwischen dem Platzhirsch „Tatort“ und der kleineren Schwester „Polizeiruf 110“ ist deutlich geschrumpft. Was sagt die ARD zum schwächelnden „Tatort“?

    Man muss nicht lang ermitteln, um dem Grund dafür auf die Spur zu kommen. Während der „Tatort“ im Ersten immer mehr Zuschauer*innen verliert, konnte der „Polizeiruf 110“ in den letzten Jahren kontinuierlich Fans hinzugewinnen. Laut HÖRZU-Analyse ist der Abstand zwischen den ARD-Reihen bereits vor dem Saisonfinale deutlich geringer als in den Vorjahren.

    In der aktuellen Krimi-Saison, die mit der Sommerpause bald endet - gelang es nur zwei „Tatorten“ – jeweils aus Münster – bei der linearen Erstausstrahlung im Ersten die 10-Millionen-Zuschauermarke zu knacken. Vor wenigen Jahren schafften das auch andere „Tatort“-Stars, etwa aus Köln oder München. Auf Platz 3: Der Kölner „Tatort – Restschuld“ mit 9,94 Millionen Zuschauer:innen. Bemerkenswert: Die beiden schwächsten „Polizeiruf 110“-Folgen – beide mit Johanna Wokalek – lagen mit 7,02 Mio. („Ein feiner Tag für den Bananenfisch“) bzw. 6,12 Mio. („Jenseits des Rechts“) deutlich vor vor den „Tatort“-Schlusslichtern Dortmund („Made in China“, 5,20 Mio.), Hannover („Im Wahn“, 5,32 Mio.), Dortmund („Feuer“, 5,95 Mio) und Frankfurt („Es grün‘t so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n“, 6,06 Mio.).

    Im Schnitt erreichte der „Tatort“  in der Saison 2024/25 mit den Erstausstrahlungen bei DasErste linear im Schnitt 8,15 Mio. Zuschauer:innen, der „Polizeiruf 110“ lag bei 7,30 Mio.* Zum Vergleich: 2023/24 betrugen die Werte 8,34 Mio. („Tatort“) und 7,39 Mio. („Polizeiruf 110“). Heißt: Der „Tatort“ verlor pro Folge im Schnitt 188.000 Zuschauer:innen – das entspricht der Einwohnerzahl einer Stadt wie Regensburg.

    Weil Das Erste vor der Sommerpause aber noch zwei neue Krimis zeigt - den Schweizer "Tatort: Rapunzel" (15.6.) sowie den "Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball" aus Frankfurt/Oder (22.6.), die quotenmäßig ähnlich performen dürften (mit leichtem Vorteil für den "Polizeiruf") -, steht folgendes Fazit bereits fest: Der "Tatort" liegt aktuell nur noch rund 850.000 Zuschauer*innen vor dem "Polizeiruf 110". 2023/24 betrug der Vorsprung noch 950.000. Die Prognose von HÖRZU: "Rapunzel" und "Spiel gegen den Ball" dürften den Abstand weiter zugunsten des "Polizeiruf 110" verringern. Aller Voraussicht nach könnte der Jahresschnitt der "110"-Reihe letztendlich sogar das Niveau der Vorsaison erreichen. 

    Wie kommentiert die ARD selbst die „Tatort“-Krise? Im exklusiven HÖRZU-Interview erklärt der verantwortliche ARD-Fiction-Chef Björn Wilhelm den zu erwartenden Quotengleichstand am Sonntagabend und verrät die Highlights der kommenden Saison 2025/26.

    HÖRZU: Wie bewerten Sie die Saison 2024/25 für den „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ aus Quotensicht?

    Björn Wilhelm: Insbesondere vor dem Hintergrund sich verändernder Sehgewohnheiten bewerten wir die aktuelle „Tatort“/„Polizeiruf 110“-Saison als vollen Erfolg. Der Krimi im Ersten ist bei einem großen Teil des TV-Publikums weiterhin ein festes Fernseh-Ritual am Sonntagabend: Die Marktanteile für die Erstausstrahlungen der Reihe „Tatort“ im Jahr 2025 stehen aktuell im Schnitt bei starken 30,4 Prozent, bei den absoluten Zahlen der Saison 24/25 bewegen wir uns auf dem sehr guten Niveau des Jahres 2023. Der „Polizeiruf 110“ notiert im laufenden Jahr bei durchschnittlich 29,0 Prozent Marktanteil. Absolut hält die Krimi-Reihe das Niveau der vergangenen drei Jahre.

    Björn Wilhelm ist bei der ARD seit 2024 Koordinator für Fiktion. | ©BR

    In der vergangenen Saison legte der „Polizeiruf 110“ quotenmäßig zu, während die „Tatort“-Reihe erneut viele Zuschauer verlor und, wenn man die letzten 15 Jahre betrachtet, inzwischen ein historisches, lineares Tief markiert. Inzwischen liegen beide Formate beim Publikum fast gleichauf – ein bemerkenswerter Wandel. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? Und könnte der „Polizeiruf 110“ mittelfristig sogar zur stärkeren Sonntagsmarke der ARD werden? 

    Da muss ich widersprechen. Beide Reihen weisen eine stabile Akzeptanz auf, im Schnitt hat der „Tatort“ aber immer noch rund eine Million ZuseherInnen mehr. Über einen starken „Polizeiruf 110“ freuen wir uns im Übrigen ebenso wie über den nach wie vor erfolgreichen „Tatort“. Beide Reihen zählen zu den gefragtesten regulären Sendereihen. Ein Vergleich mit den linearen Quoten vor 15 Jahren ist in einem komplett anderen medialen Umfeld und einem veränderten Fernsehkonsum nicht wirklich aussagekräftig. Mit Marktanteilen von regelmäßig um die 30 Prozent im linearen TV und hohen Abrufen in der ARD Mediathek können wir mit Überzeugung von einem ungebrochenen Interesse am Sonntagskrimi sprechen. Ob da ein Format besser läuft als das andere ist zweitrangig. Unser Anspruch ist es seit jeher, spannende, anspruchsvolle und vor allem unterhaltsame Krimis zu produzieren – das gelingt uns regelmäßig und ehrlich gesagt: besser als anderen.

    Anders als in den vergangenen Jahren lagen diesmal nur noch zwei „Tatorte“ – nämlich „Man stirbt nur zweimal“ und „Fiderallala“ aus Münster - über der linearen 10-Millionen-Marke. Wie erklärt sich Das Erste diesen Negativrekord? Oder anders gefragt: Warum wohl gibt’s immer weniger 10-Millionen-„Tatorte“?

    Es waren mit „Tatort Restschuld“ drei „Tatorte“, und wir haben linear sechsmal über neun Millionen Zuschauer erreicht. Das ist wahrlich kein Negativrekord. Dass sich das Nutzungsverhalten wandelt, ist keine Neuheit. Vielfältige Angebote, linear und online, prägen nun schon seit vielen Jahren das Geschehen, und Sehgewohnheiten ändern sich. „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ haben es aber dennoch geschafft, ihren Lagerfeuercharakter im Linearen zu behalten. Sie sind Leuchttürme der fiktionalen Unterhaltung, linear und im Angebot der ARD Mediathek und erreichen – auch kombiniert und mit Wiederholungen in One – regelmäßig mehr als zehn Millionen ZuschauerInnen.

    Gleichen die Abrufe in der Mediathek den Quotenschwund der linearen Ausstrahlung aus?

    Wenn Sie die Zahlen vom Sonntag und anschließend eine 14-Tage-Mediatheksnutzung zusammennehmen, kommen Sie bei den Erstausstrahlungen am Sonntag/Feiertag in dieser Saison 2024/25 allein sechsmal über die Zehn-Millionen-ZuschauerInnen-Marke. In Zeiten von zeitversetztem Fernsehen, Streaming und multiplen Plattformangeboten ist der starre Blick auf die linearen Quoten allein einfach nicht mehr zeitgemäß. Die lineare Ausstrahlung ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil, insbesondere bei den Krimireihen. Aber wer nicht auf alle Ausspielwege schaut, springt einfach zu kurz. 

    Lässt sich das lineare Publikum zurückgewinnen – etwa mit neuen Formaten, jüngeren Darstellern oder anderen Erzählweisen?

    Die Frage muss immer sein „Wie erreichen wir Zuschauerinnen und Zuschauer am besten?“ Unser großes Ziel ist es natürlich, auch eine junge Zielgruppe zu begeistern, aber junge Menschen konsumieren Programm eben anders, und das ist völlig in Ordnung. Unser Fokus und unser Engagement für diese Zielgruppe sind daher auf starke Inhalte der ARD Mediathek gerichtet, und ja, das beinhaltet unter anderem auch neue Erzählformen, neue Formate und bisweilen andere Darstellende.

    Kurzer abschließender Blick auf die kommende Saison: Welche Highlights (vielleicht drei nennen) erwarten die Zuschauer in der kommenden Season und wer ermittelt am 7.9 zum Auftakt?

    Mit tiefer Dankbarkeit und natürlich auch ein bisschen Wehmut für Dekaden an toller Unterhaltung verabschieden wir in der kommenden Saison die Teams aus München und Österreich, hier können wir uns sicher jeweils auf einen besonderen Ausstand freuen. Und da ein Ende immer auch ein Anfang ist, warten wir gespannt auf neue ErmittlerInnen eben in München und Wien, aber auch in Kiel und beim Tatort Franken. Hier dürfen die Zuschauerinnen und Zuschauer spannenden neuen Filme entgegenfiebern. Persönlich freue ich mich sehr auf die Cold Case Unit in Frankfurt.

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