Prof. Ingo Froböse: Das hilft bei Muskelkrämpfen wirklich

03.08.2023 um 21:30 Uhr
    Muskelkrämpfe Ingo Froböse Titelbild | © IMAGO / Westend61/ Future Image
    ©IMAGO / Westend61/ Future Image

    Sie bringen uns in Bewegung, machen uns flexibel. Doch das ist nicht alles: Sportwissenschaftler Prof. Ingo Froböse erklärt, warum es sich lohnt, mehr über die Muskeln zu erfahren – und auf ihre Signale zu achten.

    Ein Artikel von Redakteurin Anja Matthies.

    Es ist eine Krux mit dem Treppensteigen. Die innere Stimme mahnt: „Vergiss den Aufzug, geh zu Fuß!“ Doch der Weg zum Treppenhaus führt oft am Fahrstuhl vorbei, just dann öffnet sich dessen Tür – und schon siegt die Bequemlichkeit über die Vernunft. Einmal mehr. Bewusst werden uns solche Alltagsentscheidungen, wenn bestimmte Bewegungen nur noch unter Schmerzen funktionieren, wenn es etwa beim Treppensteigen nach zehn Stufen beginnt, in den Beinen zu brennen. Kurz: wenn unsere Muskeln nicht mehr das machen, was wir wollen. Was Muskeln über uns verraten, wie sie Wohlbefinden und Gesundheit steuern, erklärt der Kölner Sportwissenschaftler Prof. Ingo Froböse im Gespräch mit HÖRZU.

    „Muskeln sind ein wahres Wunderwerk unseres Körpers, ihre Heilkräfte stärker als die Wirkung vieler Medikamente“, sagt der Bestsellerautor (u. a. „Muskeln: Die Gesundmacher“). Mit seiner Lust auf Bewegung und Fitness möchte er andere gern anstecken.

    Jeder Mensch verfügt im Schnitt über 30 Kilo Muskeln, die täglich 1200 bis 1500 Kilokalorien in Ruhe verbrauchen – also auch, wenn wir nichts tun. „Einfach nur durchs Am-Leben-Sein“, sagt Froböse. „Muskeln sind der Motor unseres Energiestoffwechsels.“ Den Sprit dafür liefern Botenstoffe, die die Muskeln freisetzen. Myokine heißen diese hormonähnlichen Teilchen. „Seit die Kopenhagener Forscherin Bente Pedersen dies vor einigen Jahren entdeckt hat, wissen wir, dass Muskeln nicht nur zum Laufen und Stehen da sind, sondern vielfältige Aufgaben erfüllen und auf mehrere Organe wirken“, so Froböse.

    Starke Muskeln stärken das Immunsystem

    Besonders relevant ist für ihn: Je aktiver Muskeln sind, umso mehr Myokine produzieren sie. Gleichzeitig ist der Körper sehr ökonomisch ausgerichtet und nutzt seine Energie nur für die Systeme, die wir in Anspruch nehmen. Was nicht gebraucht wird, kann weg, wird also abgebaut. Folglich signalisiert weniger Muskelmasse, dass Stoffwechsel und Energieverbrauch heruntergefahren werden. Muskelarbeit dagegen erhöht deren Leistungsfähigkeit: Starke Muskeln stärken das Immunsystem und machen den Körper noch auf andere Art fit. „Die Myokine sorgen auch dafür, dass bestimmte Heilstoffe, etwa antientzündliche, nicht nur lokal, sondern überall im Körper Wirkung entfalten“, so Froböse.

    Verspannungen in der Schulter deuten oft auf emotionale Belastung hin | ©IMAGO / Westend61

    „Wir besitzen sozusagen eine körpereigene Apotheke, die jederzeit griffbereit ist.“ Doch unsere Muskeln versenden nicht nur lebenswichtige Botenstoffe – sie übermitteln uns auch wichtige Botschaften. Sind sie verspannt, angespannt oder verkrampft, weisen sie auf psychische Belastung wie Stress, Sorgen und Ängste hin. Genauso reagieren sie auf positive Erlebnisse, gute Laune und Zufriedenheit. „Sie sind immer auch Abbild unserer emotionalen Stimmung“, so der Experte, „weil sie über zentrale Steuerungsprozesse unseres Gehirns Informationen erhalten, wie und in welchem Umfang sie sich anspannen kontrahieren oder entspannen sollen.“

    Ebenso funktioniert es umgekehrt: Muskeln senden Informationen ans Gehirn. Wie, das kann man laut Froböse beispielsweise selbst testen: Man hebt seine Mundwinkel zu einem Lächeln an, selbst wenn einem nicht danach zumute ist. Das behält man eine Weile bei, schon wird man feststellen, dass sich die Laune bessert.

    Wenn Muskeln Alarm schlagen

    Manchmal schicken Muskeln auch ganz offensichtliche Signale. Worauf deutet zum Beispiel ein Muskelkater hin? „Auf winzige Mikrorisse in den Muskelfasern, die nach einer längeren ungewohnten Belastung der Muskulatur entstehen“, sagt Froböse. „Ursache ist das Immunsystem, das an den Orten der Zerstörung kleine Entzündungen auslöst.“ Sein Tipp: warmes Baden, Saunagänge oder Eisbäder. Was entgegen landläufiger Meinung nicht hilft, ist die gleiche Belastung direkt am nächsten Tag.

    Nicht minder klar spürbar: ein Muskelkrampf in der Wade oder im Oberschenkel. Doch er verweist nicht nur „auf eine starke Überanstrengung oder eine Unterversorgung mit Flüssigkeit und Mineralien, sondern auch auf falsches Schuhwerk“, so Froböse. Zu enge, zu kleine Schuhe und auch die im Sommer beliebten Flip-Flops seien häufig für die muskulären Probleme verantwortlich. Entgegen allen Behauptungen sorge Magnesium nicht für Abhilfe. Er empfiehlt, während des Krampfes den Muskel zu dehnen und zu massieren.

    Unsere Muskulatur ist längst nicht bis ins Letzte enträtselt. Eines aber steht fest: Damit sie positive Effekte entfaltet, muss sie stets aktiviert und animiert werden, neue Masse aufzubauen. Auch die Planung von Architekten kann dabei hilfreich sein. Beispiel: Treppe. Liegt sie als gestalterisches Element im Zentrum eines Gebäudes, der Zugang zum Aufzug dagegen versteckt, ist es wahrscheinlicher, dass bei uns öfter die Stimme der Vernunft siegt – und nicht der innere Schweinehund.

    Am 3. August um 9.00 Uhr läuft „Die Bewegungskrise“ auf Arte.