Von Freundschaft über Leidenschaft bis Verrat: Küsse haben viele Bedeutungen – und sorgen für Skandale.
Ein Artikel von HÖRZU Redakteurin Melanie Koch
Ein Kuss kann von Leidenschaft zwischen Liebenden zeugen, die Fürsorge einer Mutter ausdrücken, ein freundschaftliches Begrüßungsritual sein, Verrat, Freude und Achtung symbolisieren oder als Provokation verstanden werden. „Küssen ist eine Kommunikationsart, die äußerst unterschiedlichen Zwecken dient“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Hektor Haarkötter (Buch: „Küssen“, 2024, S. Fischer Verlag, 288 Seiten, 24 Euro) von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg gegenüber HÖRZU. „Es drückt Sachverhalte aus, die wir mit Worten nicht zu sagen vermögen.“ Die neue 3sat-Doku „Just a kiss?“ entführt auf eine Reise in die Geschichte des Küssens (Sa, 12. Jul, 19.20 Uhr) und zeigt biologische und kulturelle Einflüsse.
Wo liegt der Ursprung des Küssens? Diese Frage beschäftigt verschiedene Bereiche der Wissenschaft schon lange. Die Antworten variieren je nach Disziplin. Der britische Zoologe Desmond Morris etwa stellte in den 1960er-Jahren die These auf, Mütter könnten die Quelle des Urkusses gewesen sein. Sie hätten einst Essen vorgekaut und den Brei ihren Kindern mit gespitzten Lippen zugeführt. Eine Praxis, die heute noch bei Schimpansen zu beobachten ist.
Auch in sexueller Hinsicht kommt Küssen eine entscheidende Bedeutung zu: Treffen Lippen aufeinander, werden im Körper biologische Prozesse in Gang gesetzt. In Sekundenbruchteilen senden Tausende Nervenzellen Signale ans Gehirn. Sie enthalten zum Beispiel Informationen darüber, wie die andere Person schmeckt, riecht und ob ihre Haut warm oder kalt ist. Außerdem werden Botenstoffe wie Endorphine produziert, die schmerzhemmend wirken und glücklich machen, ebenso das Hormon Oxytocin, das Stress abbaut, soziale Bindungen stärkt und sexuell erregt.
Natürlich beschäftigt der Kuss seit jeher auch die Kunst, inspirierte Maler, Filmer, Musiker. Während der Judaskuss früh in Gemälden auftauchte, war die erste Darstellung von Liebenden revolutionär. Der italienische Künstler Giotto di Bondone zeigte Anfang des 14. Jahrhunderts in einem Fresko, wie sich Marias Eltern Joachim und Anna küssen. Sie sollen bereits 20 Jahre verheiratet gewesen sein, als sie mit der späteren Gottesmutter Maria ihr erstes Kind bekamen. Ihr Kuss als Akt der Freude: Zur damaligen Zeit war es ein mutiger Schritt, ein solches Motiv zu wählen.
Als ähnlich bahnbrechend erwiesen sich einige Hundert Jahre später die ersten Küsse im Kino. Im Stummfilm „The Kiss“ ließ Regisseur William Heise 1896 May Irwin und John Rice eine Kussszene aus dem Lustspiel „The Widow Jones“ nachspielen. Der zweisekündige, aus heutiger Sicht harmlose Akt löste einen Skandal aus. Zuschauer riefen nach Zensur. „Ich glaube, dieser Film hat das Kino, wie wir es heute kennen, entscheidend geprägt“, so Haarkötter. „Über Jahrzehnte endeten viele Filme damit, dass sich Held und Heldin in den Armen liegen.“
Doch nicht nur im Kino bekommen Lippenbekenntnisse die große Bühne. Öffentliche Küsse wie etwa der sozialistische „Bruderkuss“ zwischen Staatsführern des Ostblocks sollen politische Freundschaft signalisieren. Und manch demonstrativer Hochzeitskuss entpuppt sich Jahre später als ziemlich schal – wie der von Prinz Charles und Diana 1981. Wir haben für diese Seiten einige geschichtsträchtige Küsse gesammelt