„Die Ermittlung“: Das Grauen von Auschwitz als TV-Prozess – erschütternd

27.01.2025 um 17:30 Uhr
    „Die Ermittlung“: Das Grauen von Auschwitz als TV-Prozess – erschütternd | © ARD
    Die reuelos lauschenden Angeklagten im Rücken, berichten die Zeug*innen (hier Christian Paul) präzise von den tödlichen Folterungen. | ©ARD

    Der Film „Die Ermittlung“ erinnert an die Verbrechen von Auschwitz: allein durch Zeugenaussagen, aber intensiver als so manche Doku.

    Ein Artikel von HÖRZU Redakteuerin Sabine Krempel

    Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zum 80. Mal. Ein Datum, das die Vereinten Nationen 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärten. Arte zeigt zu diesem Anlass RP Kahls erschütternden Film „Die Ermittlung“ (Mo, 27. Januar, 21.45 Uhr bei Arte). Die Basis dazu liefert Peter Weiss’ gleichnamiges Theaterstück von 1965. Weiss verdichtete dafür die Aussagen Hunderter Opfer und Täter, die er und der Journalist Bernd Naumann beim ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt (1963–1965) notierten. Entsprechend den Stationen, die Deportierte in Auschwitz durchliefen, gliederte Peter Weiss die Aussagen in „Elf Gesänge“ – von der Ankunft an der Rampe über unvorstellbare Foltertechniken bis zur Ermordung in den Gaskammern und dem Verbrennen der Leichen in den Feueröfen.

    Sie bilden das Gerüst für den Film und auch für eine elfteilige Serienversion, die ab 27. Januar in der ARD-Mediathek abrufbar ist. „Der Film ist nicht nur inhaltlich, sondern auch durch seine vier Stunden Länge eine ganz schöne Herausforderung“, merkt Regisseur RP Kahl an. „Das serielle Format bietet Zuschauerinnen und Zuschauern die Möglichkeit, sich die elf in sich abgeschlossenen Teile im eigenen Rhythmus und in der individuell gewählten Reihenfolge anzusehen.“ Auch wenn man „Die Ermittlung“ mit seinen Kindern oder mit Jugendlichen schauen möchte, empfiehlt Kahl die serielle Fassung. „Wobei die Schilderungen in ,Gesang vier‘, in dem es um die Versuche an Frauen geht, so schrecklich sind, dass 12, 13, oder 14Jährige sie noch nicht ansehen sollten.“

    Überleben durch eigene Entmenschlichung

    Regisseur RP Kahl sieht sein Werk als „Gerichtsdrama, das Geschichte nicht abstrakt nacherzählt, sondern konkrete Fakten aus erster Hand liefert“. Im Film bringen Christiane Paul als Zeugin Nr. 9 und Rainer Bock als Richter das Unsagbare zur Sprache. „Ich beschäftige mich seit meinem 14. Lebensjahr mit diesem Thema“, erzählt der Schauspieler. „Deswegen habe ich auch in so vielen Filmen dazu gespielt – egal wie klein die Rolle war –, denn ich denke, das ist unsere einzige Chance in unserem Job, ein bisschen was für die Wiedergutmachungskultur, für die Erinnerungskultur zu tun.“ Christiane Paul war überrascht, „dass ich zu Beginn beim Lesen des Drehbuchs so stark reingezogen wurde. Und plötzlich wurde mir schlecht. Mir kamen die Tränen. Da war so viel, was ich nicht wusste, Dinge, von denen ich nie gehört hatte, die ich nicht begreifen konnte.“

    Paul reiste zur Vorbereitung auf die Dreharbeiten nach Auschwitz: „Ich war davor noch nie dort. Und ich habe versucht, das zu begreifen; und auch zu verstehen, was Peter Weiss’ Texte bedeuten – aber Auschwitz kann man nicht verstehen.“ Regisseur RP Kahl „wollte auch gar nicht, dass die Schauspieler und Schauspielerinnen in ihren Rollen so tun, als wären sie als Opfer oder Täter in Auschwitz gewesen“. Er wollte „kein Hollywooddrama inszenieren, bei dem sich die Menschen denken können: Ach, die armen Opfer – aber was hat das mit mir zu tun?“ In seinem Film erzählen namhafte Schauspieler in klaren Worten von den Schrecken, die in Auschwitz vor allem Deutsche anderen Menschen antaten. Zudem legen Überlebende Zeugnis über die eigene Entmenschlichung ab.

    „Das ist das Schlimmste an den Augenzeugenprotokollen der Überlebenden“, so Christiane Paul. Durch sie erfahren wir, wie Häftlinge in Auschwitz „nur überleben konnten, weil sie zu Funktionshäftlingen wurden und als solche Mithäftlinge in die Gaskammern und deren Leichen dann zu den Öfen brachten, damit es die Täter nicht selbst tun mussten“. Als Zuschauer beginnt man zu verstehen, was eine Terrorherrschaft aus Menschen machen kann – bis heute. „Das zeigt ein Blick in die gerade geöffneten syrischen Gefängnisse“, konstatiert Rainer Bock. „Man darf aber nicht immer erst anfangen nachzudenken, wenn schon das Schlimmste passiert“, warnt der 70jährige Schauspieler. „Man muss dies schon tun, wenn damit begonnen wird, Gedanken zu vergiften.“ Bock ist sich sicher: „Das geschieht gerade“.