Mallorca steht unter Druck – ökologisch, wirtschaftlich und sozial. Doch wer trägt die Verantwortung? Viele zeigen reflexartig auf die Touristen am Ballermann. Doch eine neue Weltspiegel-Reportage der ARD zeigt ein anderes Bild. Unter dem Titel „Wer rettet Mallorca?“ geht Korrespondent Sebastian Kisters der Frage nach, wer die Insel wirklich an ihre Grenzen bringt – und landet bei ganz anderen Verdächtigen.
Wer nach Mallorca fliegt, kann sich seine Mitreisenden nicht aussuchen. Das weiß auch ARD-Madrid-Korrespondent Sebastian Kisters, der am Flughafen eine chronisch gut gelaunte Spezies um sich hat: den deutschen Ballermann-Touristen. "Wer rettet Mallorca?", lautet der Titel von Kisters neuer Balearen-Reportage. Gemeint ist allerdings nicht: "... vor deutschen Sauf-Touris". Die Urlaubsinsel, so lernt man im Film, hat viel ernstere Probleme. Die haben mit Geld zu tun, mit sehr viel Geld.
ARD-Mann Kisters hält sich deshalb auch gar nicht lang bei "Bierkönig" und Co. auf, sondern fährt lieber mit Seegraswächter Marcial die Küste ab. "Der Tourismus hat sich hier ein bisschen planlos entwickelt, explosionsartig", klagt der Umweltschützer. Ein Problem: Jachten, die mit ihren Ankern das für die Strände überlebenswichtige Seegras kaputtmachen. Ein anderes sieht man allzu gut vom Boot aus: mit Häusern zubetonierte Steilküsten.
Häuser mit Meerblick kosten auf Mallorca inzwischen bis zu 20 Millionen Euro, erfährt man in der Doku. Die rasante Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt kegelt immer mehr Einheimische aus ihren Mietverträgen. "Es ist ein Albtraum", sagt eine Versicherungsangestellte, die mit ihrer Tochter zurück zu den Eltern ziehen muss, weil sie die fast verdoppelte Miete nicht aufbringen kann. "Klar habe ich überlegt fortzugehen, ich will aber nicht. Das hier ist meine Heimat."
"Euer Luxus ist unser Elend" - mit Bannern wie diesen demonstrierten zuletzt Einheimische gegen den inflationären Zuzug von Superreichen. Die Faustformel lautet: "Der 5-Sterne-Tourist von heute ist der Immobilienkäufer von morgen". Von denen sind immer mehr aus der Kategorie "off limit" - Preise egal, Hauptsache, es gefällt -, wie der auf Immobilien spezialisierte Anwalt Rafael Barber-Llorente bestätigt.
Der Anwalt bewohnt einen gediegenen Landsitz, der seit Generationen in Familienbesitz ist. Er ist einer der großen Nutznießer des Mallorca-Hypes. Und genau das ist ihm selbst nicht mehr geheuer. "Ja, ich habe beträchtliche Angst um die Insel", gesteht Señor Barber-Llorente. Er fürchtet: "Wenn die Politik nicht eingreift, wird Mallorca in 20, 30 Jahren nicht wiederzuerkennen sein." Die Politik habe aber bisher wenig Interesse am nachhaltigen Gemeinwohl gezeigt. Zu viele verdienen zu gut, wie der Jacht-Verleiher mit dem proppenvollen Buchungskalender ("Mallorca ist ein Hotspot für ziemlich wohlhabende Menschen"). Nirgendwo sonst in Spanien wächst die Wirtschaft so schnell wie auf Mallorca.
"Das alles ist ein Dilemma", sagt vor der ARD-Kamera eine junge Mode-Designerin, die einerseits auf Touristen als Kunden angewiesen ist, sich wegen der Touristen aber weder einen Laden noch eine Wohnung leisten kann. Superreichen-Anwalt Barber-Llorente gesteht den Zwiespalt im Gespräch ein: "Wenn ich einen Mandanten berate beim Erwerb eines Grundstücks und bei den Verträgen zur Bebauung, wirke ich in gewisser Weise an der Zerstörung der Insel mit." Wenn er dereinst vor seinen Schöpfer trete, werde er zugeben müssen, sich "nicht immer anständig" auf der Welt verhalten zu haben.
So viel Selbstkritik hört der Reporter im Four Seasons Formentor nicht. Eine Suite kostet in dem Hotel der Extraklasse 12.000 Euro - und zwar die Nacht! Verblüffend viele Gäste kommen aus den USA, sogar von der Westküste. Was auch mit prominenten Mallorca-Fans wie Kendall Jenner (287 Millionen Instagram-Follower) zu tun haben könnte. Bezeichnend: Die schwierigste Aufgabe sei nicht, die Gäste zu finden, sondern Wohnungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie die Hoteldirektorin vor der Kamera einräumt.
Für das Ökosystem Mallorcas sind solche Luxus-Exzesse existenzbedrohend. Geografie-Professor Celso García hat errechnet, wie viel Wasser der Tourismus verbraucht: Massentouristen seien nicht das Problem, weil sie nutzen alle einen Pool. Anders die Fünf-Sterne-Luxustouristen. Während normale Einwohner von Palma 100 bis 150 Liter Wasser am Tag verbrauchten, seien es in einer Luxussiedlung bis zu 2.500 Liter pro Tag und Einwohner oder Tourist. "Die meisten haben einen eigenen Pool und drumherum Gärten mit Rasen. Der Wasserverbrauch ist maßlos", erklärt García aufgebracht. Und das auch noch über immer längere Strecken: "Früher hatten wir drei Monate Saison, jetzt acht. Die Menschen, die hier leben, können nicht mehr."
Wären also Touristen-Limits, wie sie diskutiert werden, die Lösung? Juan, Organisator eines Berglaufs mit begrenzter Teilnehmerzahl, findet ja: "Es ist doch keine Option, am eigenen Erfolg zu sterben." Der mallorquinische Tourismus-Dezernent hält vor der ARD-Kamera dagegen, auch wenn er maximal vage bleibt: "Es ist alles kompliziert. Es wird nicht mehr wie früher. Wir können nicht problemlos Limits erlassen."
"Kann man eine Insel kaputtlieben?", fragt sich Sebastian Kisters am Ende seines "Weltspiegel"-Beitrags. Die Antwort kann sich das aufmerksame Publikum da längst schon selbst geben: "Ich fürchte mittlerweile ja."
"Weltspiegel-Doku: Wer rettet Mallorca" läuft heute, 30. Juni, 23.45 Uhr, im Ersten und schon vorab in der Mediathek.
Quelle: teleschau / Jens Szameit