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„Das Wunder von Kapstadt“: ARD-Drama zur ersten Herztransplantation 1967

16.12.2022 um 12:23 Uhr
    „Das Wunder von Kapstadt“ | © ARD Degeto Die junge Medizinerin Lisa Scheel (Sonja Gerhardt) reist zu Dr. Christiaan Barnard ((Alexander Scheer) nach Kapstadt. | ©ARD Degeto

    Der ARD-Film erzählt sehr frei von der ersten Herzverpflanzung 1967 in Südafrika. Im Zentrum: Sonja Gerhardt als junge Medizinerin, die Star-Chirurg Christiaan Barnard unbedingt assistieren will.

    Mit dem 105-minütigen Film „Das Wunder von Kapstadt“ (Sa, 17. Dezember, 20.15 Uhr im Ersten) erzählt Das Erste eine Geschichte rund um die weltweit erste Herztransplantation, die Dr. Christiaan Barnard 1967 in Kapstadt gelang (siehe Artikel auf den vorherigen Seiten). Eine historisch korrekte Erzählung sollten die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht erwarten – das macht eine Einblendung gleich zu Beginn klar: „Inspiriert von einer wahren Geschichte“, ist dort zu lesen.

    Wie sich schnell zeigt, sind Drehbuchautor Christoph Silber und Regisseurin Franziska Buch wirklich außergewöhnlich frei mit den realen Ereignissen um - gegangen. Im Zentrum steht nicht Barnard, sondern die fiktive junge deutsche Medizinerin Dr. Lisa Scheel, gespielt von „Ku’damm“-Star Sonja Gerhardt. Sie soll stellvertretend für alle Frauen stehen, deren Beiträge in der Geschichtsschreibung ausgeblendet werden. Lisa Scheel hofft darauf, Assistentin des Herzchirurgen Prof. Dr. Kohlfeld (Fritz Karl) zu werden. Kohlfeld ist ihr Vater, weiß aber nichts davon. In der entscheidenden Auswahlrunde wird Lisa Scheel von einem Konkurrenten auf unfaire Art ausgestochen. Daraufhin reist sie nach Kapstadt, um Teil des Teams von Christiaan Barnard (Alexander Scheer) zu werden. Ihre „Bewerbungsunterlagen“: wichtige Studien, die sie ihrem Vater entwendet hat.

    „Lisa nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand“, sagt Sonja Gerhardt. „Sie folgt ihrer Intuition, ihrer Leidenschaft, Menschen als Chirurgin zu helfen. Sie lernt ihren Wert kennen und ist dadurch nicht mehr von äußeren Einflüssen abhängig.

    DIE WAHRE GESCHICHTE DER ERSTEN HERZTRANSPLANTATION

    Am Morgen des 3. Dezember 1967 zieht Dr. Christiaan Barnard im OP-Saal die sterilen Handschuhe aus und bittet um eine Tasse Tee. Zuvor ist ihm mithilfe seines 31-köpfigen Teams eine Sensation gelungen: Bei einer fünfstündigen Operation im Groote Schuur Hospital im südafrikanischen Kapstadt hat er zum ersten Mal ein menschliches Herz transplantiert. Als die Nachricht sich verbreitet, gibt es kein Halten mehr. Weltweit sind die Menschen in Aufregung, begrüßen die Verpflanzung als fantastischen Fortschritt – oder verdammen sie als unmoralisches Experiment. Der Eingriff ist ein Ereignis, das sich aus heutiger Perspektive nur mit der ersten Mondlandung im Jahr 1969 vergleichen lässt. Trauben von Journalisten belagern das Krankenhaus am Fuß des Tafelbergs, hoffen auf Interviews mit dem Mann, der diese Pioniertat vollbracht hat. „Am Samstag war ich noch ein unbekannter Chirurg aus Südafrika, am Montag war ich weltberühmt“, sagte Barnard später.

    Niemand hatte damit gerechnet, dass ausgerechnet ihm die erste Herztransplantation gelingen würde, da er in der Fachwelt nicht zu den wichtigsten Vertretern gehörte. Es waren vor allem Amerikaner wie der Chirurg Norman E. Shumway, denen man diese Leistung zutraute. Barnard selbst sagte: „Wir hatten mehr Glück als die anderen.“ Kritische Stimmen betonten dagegen, er sei wohl vor allem etwas geltungssüchtiger gewesen, habe Bedenken hinsichtlich der ungeklärten Nachbehandlung einfach beiseitegewischt.

    Dr. Christiaan Barnard gelingt 1967 eine Sensations-OP.

    Viele Jahre hatte Barnard auf diesen Tag hingearbeitet, an Ende nur noch auf den richtigen Moment gewartet, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wochenlang in Bereitschaft gehalten. Der Empfänger des Herzens sollte der 54-jährige Gemüsehändler Louis Washkansky werden. Der hatte drei Infarkte hinter sich, sein Herz war schwach, der Tod stand vor seiner Tür. Für Washkansky wurde das Unglück einer jungen Frau zur Überlebenschance: Die 25-jährige Denise Darvall und ihre Mutter wurden in der Nähe des Krankenhauses von einem betrunkenen Autofahrer überrollt. Die Mutter war sofort tot.

    Bei Darvall stellten die Ärzte einen nicht heilbaren Hirnschaden fest, der zum Tod führen würde. Aus juristischer Sicht war es in Südafrika möglich, Organe eines Patienten zu entnehmen, der für tot oder hirntot erklärt worden war. In den USA dagegen hätten Herzchirurgen ein noch schlagendes Herz nicht entnehmen dürfen, womöglich wären sie des Mordes angeklagt worden. Der Vater von Denise Darvall stimmte der Entnahme ihres Herzens zu. Schnell wurden die nebeneinanderliegenden OP-Säle A und B vorbereitet, Barnard suchte sich eine ruhige Ecke, sprach ein Gebet und führte die Operation erfolgreich durch.

    Erst Jahrzehnte später wurde die Rolle thematisiert, die ein Mann namens Hamilton Naki dabei gespielt haben könnte. Naki war Gärtner des Krankenhauses, arbeitete aber wegen seines Talents für chirurgische Schnitte als Assistent in Barnards Tierlabor und nahm dort auch an Transplantationen teil. Im Apartheidstaat Südafrika wurde der Name des Schwarzen jedoch verschwiegen. Später überhöhte der Autodidakt vermutlich seine Bedeutung. Naki behauptete, er habe das Spenderherz entnommen. Anwesende berichteten dagegen glaubhaft, er sei an diesem Tag gar nicht im Krankenhaus gewesen.

    WILDE PARTYS UND SCHÖNE FRAUEN

    Nach der OP bewahrheitete sich, dass viele Fragen rund um den Eingriff und die folgende Therapie noch ungeklärt waren. Um die Abstoßungsreaktionen des Körpers gegen das neue Organ zu unterdrücken, wurde Louis Washkanskys Immunsystem heruntergefahren, wodurch es zu schwach war, eine Lungenentzündung abzuwehren. Washkansky starb nach 18 Tagen. Zur Beerdigung ging Barnard nicht. Er war auf dem Weg nach New York, wo er in einer Talkshow auftreten sollte. Viele nahmen ihm das übel. Ohnehin sorgten Barnards Auftreten und Lebensstil nach der erfolgreichen Transplantation bei vielen Menschen für Stirnrunzeln. Er genoss seine Prominenz in vollen Zügen, stürzte sich ins Jetsetleben, betrog seine Frau und heiratete nach der Trennung, da war er 47, das 18-jährige Model Barbara Zoellner. In seiner ersten Biografie, die bereits 1969 erschien, schwärmte er von Sexnächten mit Kinostar Gina Lollobrigida.

    Währenddessen zogen Herzchirurgen in aller Welt nach: Mehr als 100 Transplantationen wurden im Jahr 1968 durchgeführt. Die Ergebnisse waren in den meisten Fällen eine Katastrophe, manche Patienten starben nach wenigen Stunden. Es gab aber auch Erfolge. Der Franzose Emmanuel Vitria, der 1968 in Marseille ein Spenderherz bekam, lebte noch 19 Jahre. Dennoch fanden in den 1970er-Jahren kaum noch Herzverpflanzungen statt. Als mit dem neuen Medikament Ciclosporin die Absto - ßungsreaktion des Körpers in den 1980er Jahren beherrschbar wurde, stiegen die Zahlen wieder an. Herztransplantationen wurden fast zur Routine. 2021 gab es in Deutschland 329 dieser Eingriffe, im Durchschnitt verlängert das neue Herz die Lebenszeit der Patienten um zehn Jahre. Der Pionier Christiaan Barnard starb 2001 bei einem Urlaub auf Zypern – infolge eines asthmatischen Anfalls.