"The Father": Das brillante Demenzdrama mit Anthony Hopkins feiert TV-Premiere

19.07.2024 um 16:15 Uhr
    Hing das Bild gestern schon hier? Die Wohnung verändert sich für Anthony ständig. | © TOBIS Film
    Hing das Bild gestern schon hier? Die Wohnung verändert sich für Anthony ständig. | ©TOBIS Film

    Wenn der Kopf nicht mehr mitspielt: In „The Father“ zeigt Anthony Hopkins die Welt eines Demenzkranken. Das Erste zeigt das Oscar-prämierte TV-Drama heute (19. Juli, 20.15 Uhr) als Free-TV-Premiere.

    Ein Artikel von Ulrike Schröder für HÖRZU

    Hilfe? Braucht er nicht! Anthony kommt wunderbar allein zurecht: Die Pflegekraft hat der an Demenz erkrankte alte Herr vergrault. Da eröffnet ihm seine Tochter Anne, dass sie zu ihrer neuen Liebe nach Paris zieht und sich nicht mehr um ihn kümmern kann. Allein darf ihr Vater nicht in der Londoner Wohnung bleiben.

    Doch halt: Wer ist dann der fremde Mann, der im Wohnzimmer Zeitung liest und behauptet, schon seit zehn Jahren mit Anne verheiratet zu sein? Gibt es noch eine andere Tochter? Die Standuhr in der Ecke war gestern auch noch nicht da. Ist das überhaupt Anthonys Apartment? Das Gedächtnis schlägt Haken, Erinnerungen und Gegenwart fließen verstörend ineinander.

    Man könnte „The Father“ als echtes Kopfkino bezeichnen: Da der Film Anthonys Perspektive einnimmt, begeben wir uns mit ihm in das verzweigte Labyrinth seiner Realität, in dem er sich zu verlieren droht – perfekt veranschaulicht durch die geräumige Wohnung mit ihren langen Fluren und wechselndem Mobiliar. Nicht alle Rätsel werden konsequent aufgelöst, weil Anthony zusehends die Orientierung verliert. Und seine Verunsicherung überträgt sich direkt auf das Publikum. Durch diesen klugen Kniff erinnert das intensive Kammerspiel zuweilen an einen Psychothriller im Stil von Hitchcock.

    Mit „The Father“ hat der französische Autor Florian Zeller sein eigenes Theaterstück adaptiert. Das Drama ist tatsächlich sein erster Film – was für ein Regiedebüt! Zeller hat als Jugendlicher miterlebt, wie die Großmutter an Demenz erkrankte. Was der fortschreitende Verlauf für Patienten und Angehörige bedeutet, lässt sich hier mitfühlen: Frustration, Verzweiflung, Wut, Angst. Anthonys unberechenbares Verhalten, sein stures Beharren auf vermeintlichen Tatsachen, die ihm noch etwas Halt geben, ist auch für nicht Betroffene nachvollziehbar. Die Zahl der Erkrankten wird in Zukunft weiter steigen.

    Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben hierzulande derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer 
    Demenzerkrankung, etwa 100.000 sind unter 65. Allein 2021 kamen etwa 440.000 neue Fälle hinzu. Da wir insgesamt immer älter werden, wächst die Anzahl konstant: Bis 2050 dürfte die Zahl der Erkrankten im Alter über 
    65 auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen.

    Würdiger Oscar-Preisträger

    Olivia Colman, bekannt aus der Krimiserie „Broadchurch“, hält als tapfere Tochter souverän mit Sir Anthony Hopkins mit: Auch sie erhielt eine der sechs Oscar-Nominierungen für „The Father“. Prämiert wurden letztlich das Drehbuch – und der einfühlsame Titelstar, der sagt, mit Demenz habe er im persönlichen Umfeld keinerlei Erfahrungen.

    Drei Jahrzehnte nach seinem Triumph als Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) gewann Hopkins seinen zweiten Oscar – mit 83 Jahren ältester Schauspielpreisträger aller Zeiten. Niemand war überraschter als er selbst: Als im fernen Hollywood die Oscars verliehen wurden, machte Sir Anthony Ferien in Wales. Um fünf Uhr früh riss ihn das Telefon aus dem Schlaf. Ab 19. Juli ist der mittlerweile 86-Jährige übrigens auch als römischer Kaiser in der Historienserie „Those About to Die“ beim Streamingdienst Amazon Prime Video zu sehen. Respekt, Sir!