Brutales Spektakel oder erhaltenswertes Brauchtum? Eine ARD-Doku berichtet von der Grindwaljagd auf den Färöerinseln. Und für Frauen mit Kinderwunsch scheint diese Tradition auch noch aus ganz anderen Gründen nicht mehr zeitgemäß…
Ein Artikel von Sven Sakowitz
Es ist ein blutiges Schauspiel: Hunderte von Grindwalen werden auf den Färöerinseln jedes Jahr bei archaisch anmutenden Treibjagden abgeschlachtet. Grindadráp heißt das Vorgehen in der Landessprache, und es läuft immer ähnlich ab. Taucht eine Grindwalschule in der Nähe der Inseln auf, entscheidet ein Behördenvertreter, ob die Bedingungen für eine Jagd gegeben sind. Wetter, Wellengang, Anzahl der Grindwale spielen eine Rolle. Geht es los, starten die Bewohner der nächstgelegenen Insel per Telefon oder Whatsapp-Gruppe eine Infokette. Sie dürfen ihren Arbeitsplatz verlassen, fahren mit Motorbooten raus und treiben die Tiere in die Fjorde und bis an den Strand.
Dort warten Männer, die den hilflosen Tieren mit einer Art Speer das Rückenmark durchstoßen. Das Wasser verfärbt sich blutrot, die toten Tiere werden zum Hafen gebracht und zerlegt. 20- bis 30-mal geschieht das pro Jahr. Gejagt werden vor allem Grindwale, aber auch Weißseitendelfine und Große Tümmler. Rechtlich möglich ist das, weil die Färöer zwar zu Dänemark gehören, aber einen Autonomiestatus besitzen und sich nicht an die Schutzbestimmungen gebunden fühlen.
Im September 2021 ging ein Aufschrei um die Welt, als bei einer einzigen Jagd mehr als 1400 Weißseitendelfine getötet wurden. So viele wie nie zuvor. Auch Christian Blenker, ARD-Korrespondent für Skandinavien und das Baltikum, erfuhr von diesem traurigen Rekord. Er berichtete für die „Tagesschau“ darüber – und das Thema ließ ihn nicht mehr los. Für seine exzellente Doku „Waljagd auf den Färöerinseln: Warum gibt’s das noch?“ reiste er zweimal auf die Inseln, um das Phänomen zu begreifen.
„Ich hatte großes Reporterglück und wurde Zeuge von gleich zwei Grindwaljagden“, erzählt er im Gespräch. „Dabei herrscht fast so etwas wie Volksfeststimmung. Männer, Frauen und Kinder kommen aus den umliegenden Dörfern, schauen begeistert zu oder helfen mit. Um die Tiere töten zu dürfen, muss man aber 18 Jahre alt sein und eine Lizenz besitzen.“
Auf der Insel wird das vermutlich seit der Wikingerzeit ausgetragene Spektakel von den wenigsten Menschen hinterfragt. Dabei gäbe es gute Gründe. „Grindwale sind intelligente Tiere, die sehr unter der Jagd leiden“, sagt Blenker. „Die Färinger stellen es so dar, als würden die Tiere einen schnellen, schmerzlosen Tod erleiden, aber das stimmt nicht. Sie werden über eine lange Zeit mit lauten Motorbooten in die Fjorde getrieben. Dabei stehen die Tiere unter Stress, geraten in Panik und versuchen zu fliehen. Durch den Überlebenskampf der Tiere gelingt es dann auch nicht immer, sie schnell zu töten. Diese Art, Tiere zu töten, ist unglaublich brutal.“
Dem Reporter gelang es, mit Färingern offen über dieses Thema zu sprechen. „Zwei Gründe für die Jagd wurden mir gegenüber vor allem genannt“, sagt er. „Zum einen sei sie einfach eine wichtige Tradition, die man pflegen wolle. Gerade junge Männer sind stolz auf die alte Wikingertradition und betrachten die Jagd auch als eine Mutprobe.“ Fast noch wichtiger sei der Hinweis darauf, dass die Färinger nicht aus kommerziellen Gründen jagen. Und tatsächlich wird das Fleisch der Tiere kostenlos in großen Mengen verteilt. Die Abnehmer machen es haltbar und können sich oft monatelang davon ernähren. „Die Grindwale seien nun mal seit vielen Hundert Jahren eine sehr wichtige Ernährungsquelle, hörte ich immer wieder“, so Blenker. „Aber während die Vorfahren der heutigen Färinger in der kargen Region tatsächlich auf das Grindwalfleisch angewiesen waren, gibt es heute doch Alternativen, etwa das Warenangebot der Supermärkte.“
Und: Ein Teil der Bevölkerung isst das Fleisch ohnehin nicht mehr oder zumindest nicht in großen Mengen. Blenker erfuhr in seinen Gesprächen: Es sind vor allem junge Frauen mit Kinderwunsch, bei denen Grindwal nicht mehr auf dem Speiseplan steht. Der Grund: „Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass dieses Fleisch erheblich mit Quecksilber belastet ist“, erklärt er. „Mehrere Ärzte haben deshalb die Empfehlung ausgegeben, es nicht mehr zu essen. Insbesondere Frauen wird davon abgeraten, weil der Konsum von mit Quecksilber belastetem Fleisch zu Entwicklungsstörungen von Embryos und Säuglingen führen kann.“
Aufgeworfen wird in der Doku auch die Frage, ob die Kritik an der Jagd nicht heuchlerisch ist. Denn in Deutschland werden Tiere auf teils grausame Weise gehalten und getötet. Hier allerdings hinter verschlossenen Türen. „Die Färinger argumentieren, dass die Grindwale im Unterschied zu unseren Schlachttieren ein gutes Leben hatten, frei im Ozean lebten und nicht gezüchtet werden. Sie sagen: ,Es gibt viele Grindwale in den Ozeanen, und wir nehmen uns nur ein paar davon.‘ Das sind durchaus ernst zu nehmende Argumente. Vielleicht ist bei diesem Thema doch nicht alles so schwarz-weiß, wie es zunächst den Eindruck macht.“ Über diese Frage lässt sich im Anschluss an die Doku hervorragend diskutieren.
Am 21. August um 22.50 Uhr läuft „Waljagd auf den Färöern Inseln“ im Ersten.